Romeo

von: Micha Krämer

CW Niemeyer Buchverlage GmbH, 2014

ISBN: 9783827198648 , 416 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Romeo


 

Kapitel 2


Sonntag, 18. Mai 2014, 13:30 Uhr
Stadthalle, Betzdorf/Sieg

„Und Sie sind sicher, dass Sie kurz nach dreiundzwanzig Uhr wirklich alle Türen verschlossen haben?“, fragte Thomas nun zum vierten Mal den Hausmeister der Halle. Der Mann nickte. Thomas kratzte sich am Kinn. Verflucht, wie waren der Italiener und sein Mörder bloß in die Halle gekommen? Es gab nirgends Einbruchspuren. Alle Türen und Fenster waren angeblich über Nacht verschlossen gewesen. Torsten und die anderen Kollegen waren immer noch damit beschäftigt, sämtliche Zugänge auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Es gab Hunderte Abdrücke von den unterschiedlichsten Personen, was bei einem öffentlichen Gebäude wie der Stadthalle mit Sicherheit nicht ungewöhnlich war.

Thomas kam eine Idee.

„Wissen Sie was? Wir beide gehen jetzt einfach mal den Weg Ihrer letzten Runde gestern Abend gemeinsam ab“, entschied er entschlossen.

Doch noch bevor sie sich in Bewegung setzten, kam Torsten die Treppe vom Saal zur Bühne heraufgewetzt.

„Du Thomas, ich glaube, wir haben was gefunden“, erklärte er und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. Thomas und der Hausmeister folgten ihm durch den bestuhlten Saal zu einer Nebentür rechts der Bühne und weiter in den Gastronomiebereich der Stadthalle.

„Eine von den Bedienungen hat ausgesagt, dass Daniele Catalano gestern mit einigen Freunden nach dem Auftritt noch hier gespeist hat“, klärte Torsten ihn unterwegs auf.

„Ist der Durchgang zwischen der Halle und der angrenzenden Gastronomie nachts nicht abgeschlossen?“, erkundigte Thomas sich sofort beim Hausmeister.

„Äh, nein. Da ist immer offen. Der Wirt der Pizzeria ist ja auch für die Bewirtung im Rest der Halle verantwortlich.“ Thomas war genervt. Warum nur musste man den Leuten immer jede Einzelheit aus der Nase ziehen? Hätte der Typ das nicht eben schon sagen können?

Die Bedienung, eine junge Frau um die dreißig mit langen dunklen, zu einem Zopf geflochtenen Haaren, stand im Schankraum hinter der Theke und polierte Gläser. Sie wirkte auf Thomas merkwürdig melancholisch, und ihre geröteten, glasigen Augen ließen erahnen, dass sie geweint hatte. Thomas überlegte einen Moment. Kannte er die Frau nicht irgendwoher? Vielleicht sollte er sie fragen? Er schüttelte den Gedanken ab. Als Polizist in einer Kleinstadt begegnete man ständig Menschen. Vermutlich hatte er die Frau wirklich schon einmal getroffen. Sie war Kellnerin. Könnte ja sein, dass er selbst schon einmal von ihr bedient worden war.

*

Nina und Heike mussten dreimal klingeln, bis sich die Haustür der Familie Principi in dem kleinen Ort Scheuerfeld öffnete. Vom Sehen kannte Nina den Herrn Mario Principi. Noch bevor sie etwas sagen konnte, entschuldigte er sich bei ihr, dass er sie habe warten lassen. Er sei im Garten hinter dem Haus gewesen, wo er die Klingel nicht sofort gehört habe.

Nina zog derweil ihren Dienstausweis und stellte sich und Heike vor. Herr Principi schien vom Besuch der Polizei überrascht. Nina hatte sogar das Gefühl, der Mann wirkte mit einem Mal extrem nervös.

„Herr Principi, wir sind wegen Ihres Neffen Daniele hier“, begann Nina vorsichtig und noch unter den Eindrücken des Besuchs von vorhin bei den Hempels. Das Gesicht von Mario Principi entspannte sich ein wenig.

„Ah, wegen meine Neffe Daniele, Frau Commissario. Da muss ich Sie enttäuschen. Daniele ist nicht zu Hause. Hat wohl bei Freunden übernachtet“, erklärte er mit starkem italienischen Akzent. Nina und Heike sahen sich kurz an. Nina holte tief Luft.

„Herr Principi, wir wissen, dass Daniele nicht zu Hause ist. Wir müssen Sie leider davon in Kenntnis setzen, dass Ihr Neffe in der letzten Nacht verstorben ist. Unsere herzlichste Anteilnahme.“ Principis Augen flogen schnell zwischen ihnen beiden hin und her. Nina fiel es schwer, dem entsetzten Blick des Mannes standzuhalten. Dann veränderten sich die Züge des Italieners. Er versuchte nun zu lächeln, doch es misslang.

„Mit dem Tod macht man keine Späße, Frau Commissario. Das kann nicht sein. Daniele ist ein gesunder junger Mann. Wir haben ihn gestern Abend noch auf die Bühne gesehen.“ Wieder huschten die Augen desÄlteren Hilfe suchend zwischen ihr und der Kollegin hin und her.

Doch Nina musste nicht noch einmal etwas sagen. Principi schien den Ernst der Lage erfasst zu haben. Sie wusste zu gut, wie schwer es war, eine solch endgültige Tatsache wie den Tod zu akzeptieren. Zu glauben, dass jemand, den man liebte, nicht mehr wiederkam und man gar nichts tun konnte, um es ungeschehen zu machen.

„Was ist passiert?“, stammelte Principi, worauf Nina ihn bat, sie hineinzulassen. Sie folgten dem kleinen rundlichen Mann durch das Haus in den Garten dahinter, der auf Nina wirkte wie ein tropischer Regenwald. Zwischen haushohen Bäumen gab es eine mit Natursteinen gepflasterte Terrasse, auf der sich eine nobel wirkende Loungeecke mit einem großen Rattansofa und mehreren Sesseln befand. Ringsum standen Terrakottakübel mit Palmen und anderem, wie Nina fand, sehr geschmackvollen, aber sicherlich auch sehr teuren Grünzeug. Auf dem Sofa saßen zwei Mädchen in hübschen hellen Kleidern und unterhielten sich flüsternd. Nina schätzte die Ältere auf vielleicht fünfzehn oder sechzehn, die Jüngere auf maximal zehn oder elf. Das ältere Mädchen wirkte auf Nina, im Gegensatz zu der anderen, blass und kränklich. Die Frau, die in einem Sessel gegenüber den Mädchen saß, musterte Nina beim Betreten der Terrasse argwöhnisch. Nina schätzte, dass sie nicht viel älter als sie selbst war, aber auf jeden Fall erheblich jünger als der Herr des Hauses. Ihre Haare waren dunkel und recht kurz geschnitten. Ihre Züge wirkten kantig und erinnerten Nina ein wenig an ihre italienische Lieblingssängerin Gianna Nannini.

„Valentina, Chiara, vai alle vostre stanze per favore”, herrschte Mario Principi die beiden Teenager an, sie mögen in ihre Zimmer gehen. Trotz leichten Murrens erhoben sich die beiden und verschwanden ins Haus. Mario sah ihnen hinterher und wartete, bis sie verschwunden waren, bevor er erneut das Wort ergriff.

„Darf ich vorstellen, meine Frau Alice. Alice, die beiden Signoras kommen von der Kriminalpolizei.“

Der Blick von Frau Principi wurde nun noch misstrauischer. Zögernd erhob sie sich, kam näher, nickte knapp und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Aura aus emotionaler Kälte, die diese Frau umgab, war Nina in dieser Form bisher nur selten untergekommen. Nina hätte auch erwartet, dass Mario seine Frau vielleicht in den Arm nähme, um ihr dann die schlimme Nachricht selbst zu überbringen, doch Fehlanzeige. Es herrschte eisige Stille. Die Zeit schien einen Moment stillzustehen. Zum Glück trat Heike nun einen Schritt vor und eröffnete das Gespräch. „Guten Tag, Frau Principi, wie wir Ihrem Mann schon erklärt haben, kommen wir wegen Ihres Neffen Daniele. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Daniele heute Nacht verstorben ist.“ Nina beobachtete Alice Principi genau. Im ersten Moment nahm sie die Mitteilung gefasst auf. Man sah förmlich, wie es in ihrem Kopf arbeitete und die Erkenntnis langsam ins Bewusstsein vordrang.

„Was ist passiert?“, fragte sie scheinbar gefasst. Ihre Stimme wirkte auf Nina rau und hart und passte irgendwie zum restlichen unnahbaren Erscheinungsbild der eiskalten Frau. Dennoch, Alice besaß zweifelsfrei Ausstrahlung und war schön. Ebenso wenig gab es Zweifel, wer in diesem Haushalt die Hosen anhatte. Mario war es nicht.

„Was genau passiert ist, wissen wir noch nicht. Wir können derzeit nur vermuten, dass ein Gewaltverbrechen vorliegt. Seine Leiche wurde heute Morgen in dem Sarg aus der Bühnenrequisite gefunden.“

Nina bemerkte, wie Mario sich bekreuzigte, während seine Frau keinerlei Regung zeigte.

„Er wurde ermordet?“, hakte sie nur tonlos nach.

„Es sieht so aus, Frau Principi. Näheres können wir allerdings erst nach der Obduktion sagen“, erklärte Nina. Alice dreht ihren Kopf und sah zu ihrem Mann. Der Blick der Italienerin war nun noch kälter. Dann begann sie italienisch zu sprechen. Langsam und hart. Nina hatte keine Mühe, sie zu verstehen. Doch das, was sie hörte, gab ihr zu denken. In dieser Familie gab es mehr als ein Geheimnis. Nachdem Alice fertig war, ging sie, ohne Nina und Heike auch nur einen Blickes zu würdigen, ins Haus. Mario war dies alles sichtlich peinlich.

„Sie müssen entschuldigen, Frau Commissario, meine Frau steht unter Schock. Sie wollte sicherlich nicht unhöflich sein ...“, stammelte er.

„Darf ich fragen, was sie gerade gesagt hat?“, erkundigte sich Nina und war gespannt, welche Lügen Mario ihnen nun auftischen würde.

„Der Schock, Frau Commissario. Sie ist geschockt. Sie sagte, dass ich die Familie, Danieles Papa und die Großmutter verständigen müsste“, jammerte Mario.

„Wir würden noch gerne Danieles Zimmer sehen“, sagte Heike bestimmt.

„Sicher, sicher, das Zimmer. Daniele bewohnt die Wohnung über die Garage. Ich hole Schlüssel, Frau Commissario. Momente, momente!“ Mario rannte ins Haus.

Nina beobachtete, wie Heike ihm hinterhersah und die Stirn runzelte, dann beugte sie sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr.

„Sag mal, sprichst du tatsächlich kein Italienisch?“

Nina lächelte und flüsterte zurück.

„Jetzt nicht. Ich erklär es dir später.“

Mario kam schnaufend zurück, in seiner Hand ein Schlüsselbund.

Nina und Heike folgten ihm durch den Garten in Richtung Straße. Auf der Stirnseite des Hauses befand sich eine große Doppelgarage, an deren Außenseite eine Eisentreppe in die zweite Etage führte. Nina fand, dass die Gästewohnung der Principis außerordentlich...