Johnny und Jean - Roman

von: Teresa Präauer

Wallstein Verlag, 2014

ISBN: 9783835326743 , 208 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Johnny und Jean - Roman


 

So, sage ich, das habe ich jetzt einmal loswerden müssen.

Ich brauche keine Arschlöcher mehr in meinem Leben, sagt Jean und verlässt die Galerie – und damit auch Claires Mutter.

Zähnezusammenbeißen & Zusammenbruch: so heißt die letzte Ausstellung in der Galerie von Claires Mutter, bevor sie zuletzt, ziemlich zermürbt, zusperren zuss, nein: muss.

Nach dem Zusperren steht Claires Mutter bei mir im Zimmer. Frau Eber, sage ich, wer hat Sie hereingelassen? Claires Mutter zieht kommentarlos ihre Schuhe aus, klettert auf mein Hochbett und rollt sich weinend ins Laken, das, verdammt, seit Monaten nicht gewaschen worden ist. Wenn es in meinem Leben einen Moment für frisch gewaschene Bettwäsche gegeben haben wird, dann diesen, denke ich, während das rosenbestickte Leinensakko von Claires Mutter Kontakt aufnimmt mit meinem befleckten Laken, während ihre feinmaschigen Strümpfe sich aufreiben an meiner Matratze, während vom Rouge ihrer Wangen ein Schimmer auf meinem Kopfkissen haften bleibt – ach, ich müsste Dichter sein, um diesen Anblick in Worte zu fassen!

Aber ich bin nur ein junger Kunststudent mit den Händen in den Hosentaschen und weiß mir nicht zu helfen. Ich frage also Claires Mutter, was nun zu tun wäre, und die ist so liebenswert, mir in ihrem Schmerz noch Instruktionen zu geben: Johnny, zuerst gehst du zu Le Sac und kaufst eine Flasche Rotwein, nimm nicht den billigsten, ich geb dir Geld, dazu ein bisschen Schinken und Brot an der Theke. Lass dir den leichten geben, nicht den spanischen. Dann gehst du zur Trafik, also zum Kiosk, und besorgst mir die neueste Ausgabe der französischen Vogue, nicht die deutsche, hörst du? Davor rufst du Jean an und sagst ihm, er muss sofort kommen. Sofort. Sag ihm, ich tu mir sonst noch etwas an. Zu Claire und meinem Mann kein Wort, ist das klar, Johnny? C’est clair?!

Yes, Ma’am.

Ich mache mich auf den Weg und habe Angst, dass Claires Mutter sich wirklich etwas antun könnte. Ich laufe wie ein Irrer, kaufe Schinken und Wein, frage mich, ob der Wein, den ich genommen habe, noch zu billig gewesen ist, laufe zur Trafik, frage nach der neuesten Vogue, werde von der Trafikantin als verwöhnter Fratz beschimpft, entgegne nichts, weil ja die Trafikantin Claires Vater kennen könnte und ich dadurch den Aufenthaltsort seiner Frau verraten und sie sich erst recht etwas antun: dann wäre ja ich schuld, Claire zur Halbwaise gemacht zu haben!

Ich laufe nach Hause mit klopfendem Herzen – und frage mich gleichzeitig, ob Claires Mutter etwa vorhaben könnte, mit mir zu schlafen, mein Herz klopft noch stärker, ich könnte Claires Stiefvater werden, Hilfe!: ich muss Kondome besorgen, ich laufe noch einmal zurück zur Trafikantin, kaufe rote Kondome mit Erdbeergeschmack, andere gibt es nicht, die Trafikantin zischt: Perverser!, ich zahle und laufe heim in unsere Wohnung.

Claires Mutter sitzt mit Marie und Valérie in der Küche, sie trinken Tee und essen Nudeln, fast fröhlich. Die Mädchen scheuchen mich hinaus. Du isst ja keine Nudeln, sagt Valérie.

Ich setze mich auf meine Matratze und höre John Lennon. Ich bin nicht jealous, sondern jeanlos, ohne Jean. Er soll kommen und mich von diesen Frauen befreien. Ich will meine Ruhe haben und meine Fische malen.

Jean ist nicht erreichbar. Ich öffne die Flasche nicht sehr billigen Rotweins und trinke. Ich drehe mir eine Zigarette und warte. Der Rauch steigt auf, er schlängelt sich Richtung Küche als Bandornament. Ach, Johnny, wird Marie gleich rufen: du hast Tabak?

Okay, ich dreh euch allen eine, sage ich, und setze mich neben den Esstisch auf eine Kiste, auf der noch Platz ist. Claires Mutter lacht und fragt, ob das eh kein Joint sei. Es ist kein Joint, aber ich sage, doch, es ist ein Joint. Claires Mutter will daran ziehen und glaubt danach, unter dem Einfluss von Drogen zu stehen.

Ich stehe unter dem Einfluss von Drogen, ruft sie und breitet die Arme aus zu Flügeln. Sie umarmt mich, hebt dann ihren Rock und zeigt uns ihre Strümpfe, die bloß bis übers Knie reichen und deren gemustertes Ende an Halterungen befestigt ist. Diese Frauen!

Wir trinken den Rest vom Rotwein, danach den Tetrapackwein vom letzten Fest. Claires Mutter tanzt ein bisschen.

Weil sie unter dem Einfluss von Drogen steht, wird sie heute Nacht hierbleiben und in meinem Bett schlafen. Marie und Valérie schubsen mich und zwinkern mir zu. Ich sage, ich muss noch Zähne putzen, mich rasieren, mir die Haare kürzen in den Nasenlöchern und zwischen den Beinen. Vorsicht, Vorsicht!, rufen Marie und Valérie.

Nein, Achtung, ich bin ein junger Mann! Niemals sagt ein Mann zu seinem Penis oder seinen Hoden: zwischen den Beinen. Denn das ist ein Ausdruck, den nur Mädchen verwenden. Ich denke, ich lasse die Haare dort auch einfach stehen, denn wir befinden uns in den späten neunziger Jahren, und man verhält sich diesbezüglich unverkrampft.

Ich muss mir noch die Zehennägel knipsen, ich sollte mir endlich ein männliches Aftershave besorgen, Irisch Moos!, ich muss mir Parfum von meinen Mitbewohnerinnen klauen, Marie, Valérie?

Du duftest nach Blumen, Johnny, wasch dich.

Ich wasche mich wieder, creme mich ein mit Sonnenöl, schaue nackt in den Spiegel, finde, dass mein Schwanz klein oder groß aussieht, je nachdem.

Als ich in mein Zimmer komme, ist die Sonne untergegangen und Claires Mutter schläft schon. Was, wenn ich sie falsch verstanden habe? Wenn sie gleich aufwacht und mich so sieht? Wenn sie denkt, dass ich dachte, dass sie und so weiter?!

Ich lege mich zum Schlafen mit einer Decke in die Badewanne. Ich bin erleichtert, dass Claires Mutter wenigstens nicht nach dem Restgeld vom Einkauf gefragt hat.

Johnny, Sie malen?

Immerhin siezt mich Claires Mutter wieder, als ich am Morgen aus der Badewanne gekrochen komme. Immerhin hab ich meine Unschuld nicht an eine abgehalfterte Galeristin verloren.

Was sagen Sie, Johnny?

Vielleicht habe ich tatsächlich laut gedacht, denn Claires Mutter weint jetzt so sehr, dass meine frischgemalten Fische ihre Flossen bewegen und sich ins Rinnsal begeben wollen auf die Reise zum großen Salzsee.

Ja, ich male, sage ich, ich bin doch Kunststudent, wie Jean.

Jean ist nur nebenbei in der Malereiklasse, sagt Claires Mutter. Oder ist er der Assistent der Professorin? Jean ist jedenfalls Künstler.

Und ich?, frage ich.

Johnny, Sie malen Fische. Wir werden sehen, was daraus wird, wenn Ihnen nicht alle davonschwimmen.

Ich will, dass Claires Mutter aufhört zu weinen. Ich kann in meiner Studentenwohnung keinen Wasserschaden gebrauchen. Ich gebe ihr die Ausgabe der französischen Vogue. Ich sage ihr, dass sie aussieht wie Jeanne Moreau. Ich sage nicht, wie Jeanne Moreau im Alter, ich sage nur: wie Jeanne Moreau, und blättere die Vogue vor bis zur Stelle, wo wasserfeste Wimperntusche angepriesen wird. Jetzt lächelt Claires Mutter ein bisschen. Sie packt ihre Sachen, und ich gebe ihr zum Trost noch das Restgeld vom gestrigen Einkauf.

Ach so, sagt sie, und steckt es ein. Tschüß, Johnny. Tschüß, Frau Eber.

Was hat sie eigentlich?, sagt Jean zu mir. Ich hab einfach mit Victorine ein Frühstück im Grünen gemacht.

Ein Frühstück im Grünen? Wie bei Manet?, frage ich.

Keine Ahnung, sagt Jean.

Sieh dir Manets Bild an, sage ich. War diese Victorine denn nackt?

Na klar, sagt Jean, aber den zweiten Herren hab ich heimgeschickt.

Und die Figur im Hintergrund?

Ja, das ist Claires Mutter, die plötzlich aufgetaucht ist. Die hat dort einfach nicht hineingepasst, hat ausgesehen wie später erst ins Bild geklebt. Mir reichen die Kirschen und Pfirsiche, sagt Jean, die Semmel: das ist Inventar genug für die Malerei.

Jean, das hast du zu Claires Mutter gesagt?

Klar.

Und Victorine?

Victorine hab ich dann zu mir mitgenommen. Sie hat mir noch die Olympia gemacht.

Wie?

Naja, eine Blüte ins Haar und eine zarte schwarze Schleife um den Hals, einen Seidenpantoffel am linken Fuß, ein Schmuckband ans rechte Handgelenk. Sieh dir Manets Bild an.

Und sonst nichts?

Na, was heißt nichts? Eine schwarze Kammerzofe und eine noch viel schwärzere Katze mit erhobenem Schwanz ans Bettende, ist das nichts?

Doch, doch, das ist schon was. Auch wegen des Schwarz-Weiß-Kontrasts.

Genau, Johnny, du kapierst schnell.

Ach, Jean, tu doch nicht so!

Nenn mich nicht Jean, ich bin jetzt der Assistent der Professorin, und du bist mein Student.

Jean, das finde ich blöd.

Johnny, du kannst was lernen von mir. Schau, was hält die Kammerzofe in der Hand?

Einen Blumenstrauß, Jean.

Genau, Johnny. Und was bedeutet dieser Blumenstrauß in der...