Ein Geschenk der Freundschaft - Roman

von: Marcia Willett

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783732501557 , 398 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 5,99 EUR

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Ein Geschenk der Freundschaft - Roman


 

Kapitel 2


Henry Morley saß an seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch und beschäftigte sich halbherzig mit einigen Rechnungen. Er staunte über das Glück, das ihm Gillian geschenkt hatte, die morgen um diese Zeit seine Frau sein würde. Henry liebte den Besitz Nethercombe, er konzentrierte jeden Gedanken auf dessen Wohlergehen und verwandte sein ganzes Einkommen auf dessen Unterhalt, aber er konnte nicht glauben, dass Gillian ihn um seiner weltlichen Güter willen heiratete. Selbst er, der geblendet war von Liebe und Vertrautheit, konnte sehen, dass das elegante georgianische Haus ungeheure Summen für die Instandhaltung verschlang und dass viel mehr Arbeit in das Land investiert werden musste, als er und Mr Ridley – sein Gärtner und Mann für alles – leisten konnten. Und doch liebte Henry Nethercombe von ganzem Herzen und konzentrierte sich mit aller Willenskraft darauf, es wie ein Gut zu verwalten, wenn auch nur ein sehr kleines. An dem, was davon übrig geblieben war – auch wenn es verfiel –, hielt er entschlossen fest.

Also, was sah sie in ihm? Henry fuhr sich mit den Händen durch das dichte braune Haar, schüttelte den Kopf, verzog kläglich das Gesicht und schaute sich in dem kleinen, recht düsteren Arbeitszimmer um, in dem er sich um den Papierkram und die Belange des Guts kümmerte, und er versuchte, den Raum mit Gillians Augen zu sehen. Was ihn selbst betraf, so störten ihn Feuchtigkeit oder Mäuse nicht allzu sehr. Der Salon war noch immer einigermaßen respektabel – obwohl Henry dazu neigte, in der Bibliothek zu leben, einem gemütlichen vertäfelten und behaglich eingerichteten Raum –, und er nahm seine Mahlzeiten in dem fröhlichen kleinen Frühstückszimmer ein, dessen Fenster einen Blick nach Osten boten und dessen Balkontüren auf die Terrasse führten. Sein Schlafzimmer war so spartanisch eingerichtet und sommers wie winters so kalt, dass Mrs Ridley für die Rückkehr des jungen Paars aus den Flitterwochen das große Zimmer hergerichtet hatte, in dem früher seine Eltern geschlafen hatten.

Die Ridleys wohnten mietfrei in dem Häuschen am Anfang der Allee, die zum Haus führte, und Mrs Ridley kochte und putzte und sorgte für Henry und das ganze Haus. Henry bezahlte ihnen so viel er konnte, und sie lebten zu dritt sehr glücklich und anspruchslos zusammen. Wenn sich die Ridleys bei dem Gedanken an eine neue Herrin Sorgen machten, so behielten sie es für sich.

Henry trank eine Tasse lauwarmen Tee, die Mrs Ridley ihm vor einiger Zeit auf seinen Schreibtisch gestellt hatte, schob den Stuhl zurück und schlenderte zum Fenster hinüber. Er vergrub die Hände in den Taschen seiner nicht mehr gesellschaftsfähigen alten Hose aus Moleskin und blickte hinaus auf die Rasenflächen zu beiden Seiten des Hauses und die jetzt in voller, prächtiger Blüte stehenden Rhododendren.

Es war ein eigenartiges Werben um Gillian gewesen. Er hatte sie auf einer Party im Haus eines Freundes kennengelernt. Sie hatte den jungen Architekten Simon Spaders aus Exeter begleitet, dessentwegen Henry eigens zu der Party gegangen war. Die kleine, schlanke, blonde junge Frau mit dem lebhaften Gemüt und der witzigen Zunge hatte Henry rasch für sich eingenommen. Er hatte mit ihr und dem Architekten über seinen Traum gesprochen, einige der alten Stallungen rings um einen Innenhof auszubauen, und sie hatte einige sehr vernünftige Bemerkungen dazu gemacht. Als Simon sich bereit erklärt hatte, nach Nethercombe zu kommen und sich die Baulichkeiten einmal anzusehen, hatte Henry schüchtern gefragt, ob Gillian, denn so lautete ihr Name, vielleicht Lust habe, ihn zu begleiten. Es war ein zauberhafter Nachmittag gewesen. Henry hatte die beiden herumgeführt und ihnen von seinen Hoffnungen und Plänen erzählt. Mrs Ridley hatte ihnen Tee auf die Terrasse gebracht, und sie hatten in der warmen Septembersonne gesessen und über die Dächer der Stallungen zum Fluss und zum Wäldchen geblickt, das im Süden an Nethercombe grenzte.

»Muss ein Vermögen wert sein«, hatte Simon bemerkt, als er und Gillian wieder wegfuhren. »Zumindest auf dem Papier. Er sollte das Ganze verkaufen. Es ist der Traum jedes Bauunternehmers. Der gute Henry würde über Nacht Millionär werden. Er braucht nur die richtige Person, die ihm einen Schubs gibt.«

Einige Wochen später war Henry überrascht und gleichzeitig geschmeichelt gewesen, als Gillian anrief und fragte, ob er sie zu einem Wohltätigkeitsball begleiten wolle. Henry war verzaubert gewesen und hatte den Abend sehr genossen. Während der folgenden Monate, unauffällig ermutigt von Gillian, hatte er die Initiative ergriffen, sie zum Essen eingeladen, sie auf Partys begleitet und sogar ins Theater in Plymouth ausgeführt. Noch nie war Henry so gesellig gewesen. Selbst jetzt, dachte er, während Mr Ridley – der auf dem Rasenmäher saß – aus seinem Blickfeld verschwand, selbst jetzt konnte er sich nicht recht daran erinnern, wie es zu dem Antrag gekommen war. Irgendwie war irgendetwas gesagt worden, gewiss nicht geplant oder beabsichtigt, und Gillian hatte ihn zu seiner Überraschung umarmt und geküsst und das angenommen, was sie für einen Heiratsantrag gehalten hatte. Er war zu entzückt gewesen, zu verblüfft über sein Glück, um sie zu desillusionieren. Er hätte Jahre gebraucht, um den Mut zu einem förmlichen Antrag aufzubringen. Stattdessen würde er sie nun heiraten, kaum mehr als sieben Monate, nachdem er sie kennengelernt hatte. Henry schüttelte den Kopf, blickte auf seine Armbanduhr und stieß einen leisen Entsetzensschrei aus. Er trank den Rest des inzwischen kalt gewordenen Tees aus, nahm seine Autoschlüssel von dem unordentlichen Schreibtisch und eilte hinaus. Er hatte sich Tagträumen hingegeben, und jetzt würde er sich beeilen müssen, um den Zug noch zu erwischen.

Gillian stand am Schlafzimmerfenster und beobachtete, wie ihre Mutter und ihre Patentante über den Rasen schlenderten. Sie war ihrer Patentante dankbar, dass sie ihr erlaubte, in ihrem Haus zu heiraten, und dass sie die Kosten übernahm. Es war schon viele Jahre her, dass ihr Vater ihre Mutter verlassen und eine neue Familie gegründet hatte. Ihre verschwenderische, extravagante Mutter – die nie in ihrem Leben gespart hatte und sich weigerte, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sie könne sich eine Arbeitsstelle suchen, um die Zahlungen ihres Ex-Manns aufzustocken – war gänzlich außerstande, die Art Hochzeit zu bezahlen, die Gillian vorschwebte. Ihr Vater, der zu lange unter Gillians freimütigen Verunglimpfungen seines Charakters und seines Benehmens gelitten hatte, ignorierte die recht schroffe Bemerkung seiner Tochter, dass es seine Pflicht sei zu zahlen, setzte sie davon in Kenntnis, dass er am Tag der Hochzeit außer Landes sein werde, und schickte ihr einen Scheck über zweihundert Pfund. Gillian zahlte den Scheck auf ihr Konto ein und malte den Charakter ihres Vaters noch schwärzer, indem sie überall erzählte, dass er sich nicht nur geweigert habe, an der Hochzeit seiner Tochter teilzunehmen, sondern dass er ihr auch finanziell in keiner Weise unter die Arme greife. Ihre Mutter hatte sofort ihre älteste Freundin angerufen und über ihre Probleme geklagt. Wie, fragte Lydia, könne Angus nur so unväterlich sein und sich weigern, seine Tochter zum Altar zu führen, und wie könne sie in einer kleinen Wohnung in Exeter und mit dem jämmerlichen bisschen Geld, das Angus ihr gab, etwas Gescheites ausrichten? Und sei es auch nur, um den oft gehörten Beschwerden über die verschwenderischen und unnötigen Summen Geld, die seine neue Frau und seine Sprösslinge ausgaben, ein Ende zu bereiten, übernahm Elizabeth Merrick die ganze Verantwortung und verfluchte im Stillen den Tag vor dreiundzwanzig Jahren, als sie mit der kleinen Gillian in den Armen in der Kirche gestanden und die Gelegenheit versäumt hatte, den Säugling in der steinernen Schüssel des Taufbeckens zu ertränken. Dies würde jetzt ihr letzter Akt von Pflichterfüllung sein, und sie hatte die Absicht, es großzügig und mit Stil zu tun, ja, sie ging sogar so weit, ihren alten Freund und Steuerberater, den Gillian ihr Leben lang kannte, zu überreden, Angus’ Rolle bei der Zeremonie zu übernehmen.

Gillian wandte sich vom Fenster ab und wandte sich wieder der vergnüglichen Aufgabe zu, ihre neue Garderobe durchzusehen, die sie zu einem kleinen Teil dem Scheck ihres Vaters verdankte. Sie hatte ihren Job in einer Weinbar ebenso aufgegeben wie ihr Zimmer in einer Wohnung, die sie sich mit zwei anderen Mädchen geteilt hatte, und war mit Lydia zu Elizabeth gefahren, um dort die letzten beiden Wochen ihres Junggesellinnendaseins zu verbringen. Sie amüsierte sich gut. Obwohl sie mit Freuden bei Henry eingezogen wäre, bevor sie ihn heiratete – es war Henry nie in den Sinn gekommen, dies vorzuschlagen –, war sie doch entzückt über diesen großzügigen Abschied, für den an nichts gespart worden war. Sie fand, dass sie das Nethercombe schuldig war und dass auf diese Weise keiner von Henrys Freunden würde sagen können, sie habe ihn seines Geldes oder seiner Ländereien wegen geheiratet. Denn in diesem Punkt irrte Henry sich gänzlich. Gillian gehörte zu den Menschen, die trotz sichtbarer Beweise glaubten, jemand, der auf einem Gut wie Nethercombe lebte, müsse eo ipso irgendwo Geld versteckt haben. Simons Bemerkungen waren mehr als deutlich gewesen und weckten in ihr das Gefühl, dass es sich lohnte, sich immer wieder um Henry zu bemühen, auch wenn sie manchmal schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, dass er jemals zur Sache kommen würde. Jetzt aber hatte sie das Gefühl, die Zügel in der Hand zu halten und das, wonach sie sich sehnte, in Reichweite zu haben. Sie liebte Henry nicht und war scharfsichtig genug, auch seine Gefühle für sie nicht mit dem großen Feuer der Liebe...