Im Hause Longbourn - Roman

von: Jo Baker

Knaus, 2014

ISBN: 9783641143091 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Im Hause Longbourn - Roman


 

4

da der Butler eintrat

Geräusche von der anderen Hofseite fesselten Sarahs Aufmerksamkeit: Möbel wurden umhergeschoben, Holz schrammte über Steinplatten, dazu ein leise gepfiffenes Lied. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, und der neue Hausdiener war eifrig dabei, den Speicher über den Ställen auszuräumen. Die Melodie, die er pfiff, kam Sarah irgendwie bekannt vor, doch sie konnte sie nicht einordnen. Die Töne flatterten wie Motten um sie herum und lenkten sie von der Arbeit ab.

Viel Aufmerksamkeit erforderte ihre derzeitige Tätigkeit allerdings nicht. Sarahs Arme steckten bis zu den Ellbogen im Schieferbecken der Waschküche. Schwitzwasserperlen liefen über den Wassertank aus Blei, dessen Hahn tropfte. Das Spülwasser war längst grau, kalt und fettig geworden. Polly lief mit dem Tellerstapel, den sie gerade abgetrocknet hatte, in die Küche, und Sarah hörte, wie sie sich einen Stuhl herbeizog und auf ihn hochkletterte, um an das Tellerregal heranzureichen. In Gedanken jedoch war Sarah die ganze Zeit bei dem Mann auf der anderen Hofseite.

Viel Erfahrung mit Männern hatte Sarah nicht. Um Mr Hill machte sie eher einen Bogen; der Butler war ein verhärmter alter Mann und hatte nichts zu bieten, das ihr Interesse hätte wecken können. Mit Mr B., der ohnehin nur im körperlichen Sinne anwesend war, hatte sie nur selten zu tun. Von den Stallburschen auf dem Hof hielt sie sich fern, denn es war freundlicher, sie zu ignorieren, als ihnen in irgendeiner Weise Beachtung zu schenken. Hätte Sarah sie gegrüßt, wären sie nur rot geworden und hätten, den Blick in die Ferne übers Feld gerichtet, etwas vor sich hin gebrummt und sich die Hände an der Hose abgewischt.

Die Eierpfanne versank im Spülwasser, und Sarah sah zu, wie die Eiweißreste in feinen Streifen aufstiegen. Jane konnte mit Männern umgehen – mit Gentlemen. Einer von ihnen hatte sogar Gedichte für sie geschrieben. Wie brachte man einen Mann dazu, so etwas für einen zu tun?

Indem man wie Jane freundlich lächelnd dasaß und mit aufmerksam geneigtem Kopf zuhörte, was die Herren zu sagen hatten? Wenn sie etwas gefragt wurde, antwortete Jane höflich, ansonsten schien sie sich einfach stillvergnügt darüber zu freuen, dass mit ihr geredet wurde; und wenn sie zum Tanzen aufgefordert wurde, dann tanzte sie. Allerdings war Jane auch wirklich hübsch – eine Schönheit sogar –, außerdem hatte sie nur Umgang mit Gentlemen, und nicht mit Männern. Für ein einfaches Mädchen wie sie selbst, dachte Sarah, wäre ein Verhalten wie das von Jane äußerst riskant. Sie drückte probeweise die Schultern durch, lächelte und neigte den Kopf zur Seite – riskant, weil sie es als einfaches Mädchen mit einfachen Männern zu tun hatte. Nur ein Gentleman verfügte über genügend Zeit und Muße, um eine Dame ganz langsam und behutsam aus der Reserve zu locken.

Sarah blickte auf ihre roten, vom Wasser schrumpeligen Finger und die schlaffen Falten des gallengrünen Kleids hinab. Sie hielt sich die Hände vor die Nase und schnupperte an ihnen: Fett, Zwiebeln und Spülmittel. Wahrscheinlich war dieser Geruch ihr ständiger Begleiter, und sie konnte schon froh sein, wenn sie nicht noch nach Schlimmerem roch. Nein, dachte Sarah mutlos, eine hübsche Erscheinung bin ich gewiss nicht. Ganz und gar nicht.

Sie nahm die Speckpfanne und tauchte sie ins Becken. Das Wasser schlug in Kaskaden über den Kupferseiten der Pfanne zusammen.

»Sind die fertig?«, fragte Polly.

»Ja, nimm sie mit.«

Elizabeth. Sie war anders im Umgang mit Gentlemen, viel lebendiger und aktiver. Sarah hatte sie oft beobachtet, wenn Gäste zum Dinner oder zu einem einfachen Imbiss mit anschließendem Kartenspiel geladen waren und sie die Sardellen auf Toast herumgereicht hatte. Elizabeth hatte immer ein – wie nannte man das? – Bonmot auf den Lippen. Sie machte humorvolle und geistreiche Bemerkungen, und ihre Augen blitzten dabei vor Vergnügen. Mit ihrer Schönheit und Schlagfertigkeit brachte sie die jungen Männer zum Erröten und Stottern, während die älteren Herren lächelten und sich insgeheim wünschten, sie wären halb so alt und noch ein klein wenig gewitzter als die junge Dame.

Sarah knabberte am stumpfen Rest ihres Daumennagels. Nein, das würde sie niemals können.

Lydia und Kitty – Sarah hatte manchmal Mühe, die beiden Mädchen als zwei eigenständige junge Damen zu betrachten und nicht als ein einziges Wesen mit vier Beinen und Armen, zwei Köpfen, einem Kleiderbündel und vielen Bändern –, Kitty und Lydia waren immer von Männern umschwärmt. Ihr kecker Blick und die Art, wie sie die Locken wippen ließen, waren eigentlich leicht nachzuahmen, und da sie gerade niemand sehen konnte, tat Sarah genau das. Kitty und Lydia stürzten sich auf jeden unverheirateten Mann, der ihnen über den Weg lief, was bei Kartenabenden und Bällen immer wieder zu Turbulenzen führte. Die Methode der beiden Mädchen war nicht schwierig, sie erforderte nur Ausdauer, Überschwänglichkeit und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, aber was hatten sie letzten Endes davon? Jeder Mann auf der Welt, Gentleman oder nicht, würde die Finger von einer Frau lassen, die bereits mit allen Männern in ihrem Bekanntenkreis geflirtet hatte.

Sarah nahm den kupfernen Milchtopf, kippte ihn seitlich und betrachtete ihr Spiegelbild, das sich je nach Neigungswinkel in die Länge zog und wieder zusammenschrumpfte – Kaulquappenkopf und spitz zulaufender Körper; Quetschkörper und Spindelkopf. Sie hielt sich den Topf dicht vors Gesicht und betrachtete sich kritisch aus der Nähe. Kokettes Lockenwippen hatte wenig Sinn, wenn man aussah wie ein ausgewrungener Wischlappen.

Auch an Mary konnte sie sich kein Beispiel nehmen, denn das unscheinbare Nesthäkchen der Familie war noch längst nicht flügge und hielt nichts davon, sich aufzuplustern.

Dann vielleicht Mr B. und Mrs B.? Das glückliche Ehepaar? Nein, auch die taugten nicht zum Vorbild. Sarahs Herrin brachte keinerlei Verständnis für ihren Ehemann auf. Sie konnte es einfach nicht lassen, ihn ständig mit ihren Wünschen und Forderungen zu traktieren, wo doch mittlerweile jeder im Haus wusste, dass man bei Mr B. auf Umwegen besser ans Ziel kam.

Wenn überhaupt, dann eigneten sich eher die Hills als Modell dafür, wie Mann und Frau miteinander umgehen sollten. Mrs Hill war ihrem Gatten gegenüber immer ruhig und nachsichtig, was dieser ihr mit Respekt lohnte. In allen Fragen des Alltags fügte er sich dem Urteil seiner Frau und bestand darauf, dass auch die anderen Dienstboten ihr Achtung und Respekt zollten. Im Lauf der Jahre war Sarah von beiden oft genug gescholten worden, doch niemals hatte sie miterlebt, dass zwischen dem Paar ein böses Wort gefallen wäre. Vielleicht passierte genau das, wenn man seit Ewigkeiten miteinander verheiratet war: Die Ehe wurde still wie ein See – und leidenschaftslos.

Sarah war also ganz auf sich allein gestellt, es gab kein Maß und keine Richtschnur dafür, wie sie sich verhalten sollte.

Am besten, sie war einfach höflich, dachte Sarah, immerhin war das angenehm unkompliziert. Höflich, anständig und freundlich, denn Natürlichkeit kam immer gut an – das hatte sie Miss Elizabeth sagen hören.

Sie würde also einfach »Guten Morgen« sagen. Das wäre zumindest ein Anfang.

Sie wischte das Fenster frei und blickte nach draußen. Nach dem langen Regen schien endlich wieder die Sonne, die feuchten Steinplatten im Hof glänzten im goldenen Licht. Und da war er: eine drahtige Gestalt von mittlerer Größe. Gebräunte Unterarme unter den hochgerollten Hemdsärmeln. Bei der Arbeit bewegte er sich erfreulich flink und behände. Sein abgetragenes gräuliches Hemd war früher vermutlich einmal weiß gewesen, und das lange dunkle Haar trug er zu einem Zopf gebunden. Sarah registrierte all das mit wachsendem Wohlgefallen.

»Polly!«, rief sie. »Komm schnell her.«

Polly trat die Stufe aus der Küche hinunter und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Zusammen beugten sich die Mädchen übers Spülbecken und spähten durch das frei gewischte Feld im beschlagenen Fenster.

»Ach, sieh nur …«

Sarah legte den Arm um Pollys Taille, und das Mädchen schmiegte den Kopf an Sarahs Schulter.

»Schon mal eine Arbeit, die wir nicht mehr machen müssen«, sagte Sarah.

In glückseligem Schweigen sahen sie zu, wie der neue Hausdiener den Hof fegte.

Sarah rückte ihre Haube zurecht, kniff sich in die Wangen, um ihnen einen rosigen Hauch zu verleihen, und polierte mit der Schürzenecke die Zähne. Dann ging sie nach draußen, um die Hühner zu füttern. Sie hörte ihn oben auf dem Speicher. Ob sie in den Stall gehen und ihm vom Fuß der Leiter aus einen guten Morgen wünschen sollte? Vielleicht schaute er zu ihr hinab oder kletterte sogar die Leiter hinunter, dann könnte sie sagen: ›Danke für all Ihre Arbeit‹, worauf er etwas antworten müsste, was dann schon fast ein Gespräch wäre.

Mrs Hill trat geschäftig wie immer aus dem Haus. Sarah blickte in die Schüssel mit den Küchenabfällen für die Hühner und dann zur Haushälterin: Ihr fiel keine Entschuldigung für ihr Trödeln im Hof ein. Zum Glück war Mrs Hill viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt und merkte gar nicht, dass Sarah untätig herumstand. Sie hatte ein paar alte Kleidungsstücke über dem Arm hängen und zog den Wäscheständer hinter sich her, den sie nun, mit den verschiedenen Holzleitern kämpfend, im Hof aufzustellen begann.

»Kann ich Ihnen helfen, Missus?«

»Danke, Sarah, ich brauche keine Hilfe.«

Mrs Hill legte die Kleider auf der...