Neuropsychologie der Zwangsstörungen (Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie, Bd. 7)

von: Norbert Kathmann

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2008

ISBN: 9783840917332 , 112 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 19,99 EUR

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Neuropsychologie der Zwangsstörungen (Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie, Bd. 7)


 

2.4 Systemische Hirnerkrankungen (S. 15-16)

Es wurde beobachtet, dass Zwangssyndrome auch assoziiert mit neurologischen Erkrankungen auftreten können. Es wird dabei vermutet, dass die Pathologie der neurologischen Erkrankung die Ursache auch der zusätzlichen Zwangssymptome ist. Insofern können diese Erkrankungen auch als neuropathologische Modelle der Zwangsstörung betrachtet werden. Patienten mit einer Parkinson’schen Erkrankung etwa zeigen in einigen Fällen zusätzliche Zwangssymptome.

Dies scheint insbesondere bei schweren Fällen vorzukommen. Ordnungszwänge sind dabei typischer als sonstige Zwangssymptome (Müller et al., 1997, Alegret et al., 2001). Auch bei Patienten mit der autosomal-dominant vererbten Chorea Huntington wurden in bis zu 50 Prozent der Fälle Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen gefunden (Cummings & Cunningham, 1992). In Familien, in denen die Huntington’sche Erkrankung vorkommt, häufen sich Fälle mit Zwangsstörung (De Marchi & Mennella, 2000). Ein weiterer, besonders enger Zusammenhang scheint zwischen der Zwangsstörung und der Tourette-Erkrankung zu bestehen. Bei der Tourette-Störung werden komplexe Bewegungsmuster ausgeführt, die phänomenologisch nur schwer von Zwangssymptomen unterscheidbar sind. Neben eindeutigen Tics weisen 30 bis 70 Prozent der Tourette-Patienten zusätzlich eindeutige Zwangssymptome auf, so dass eine gemeinsame biologische Basis beider Erkrankungen als wahrscheinlich diskutiert wird (Robertson, 1989). In Gruppenvergleichen erreichen Tourette-Erkrankte zumeist erhöhte Werte auf Fragebögen zur Erfassung der Zwangssymptomatik (Müller et al., 1997, Banaschewski et al., 2003).

Interessant sind Befunde, die bei Kindern ein Auftreten von Zwangssymptomen wie auch Tics nach einer Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken (Typ A) zeigen. Eine Spätkomplikation dieser Infektion stellt das rheumatische Fieber dar. Dieses kann sich u. a. in Form einer Chorea (minor) Sydenham manifestieren. Dabei handelt es sich um eine hauptsächlich bei Kindern vorübergehend auftretende Bewegungsstörung mit zusätzlichen psychischen Symptomen wie Reizbarkeit, Müdigkeit, Depressionen und sogar Psychosen. Immer mehr Studien zeigen, dass Zwangsstörungen zusätzlich oder alternativ zu den genannten Symptomen auftreten können. In manchen Studien erfüllten bis zu 70 Prozent der Patienten mit Chorea Sydenham auch die Kriterien für eine Zwangsstörung (Swedo et al, 1993, Asbahr et al., 2005).

Auch nach bereits überwundenem rheumatischen Fieber waren Zwangs- und Ticstörungen noch signifikant vermehrt zu beobachten (Hounie et al., 2004). Als pathogenetisches Modell der Chorea Sydenham und möglicherweise auch der damit assoziierten Zwangs- und Ticsymptome nimmt man heute eine Autoimmunreaktion gegen neuronales Gewebe an. Die Basalganglien scheinen dafür besonders vulnerabel zu sein. So wurden antineuronale Antikörper gegen Nucleus-caudatus-Gewebe als Indikator für eine spezifische Autoimmunreaktion gefunden (Swedo et al., 1993) und vergrößerte Volumina des Nucleus caudatus, des Putamen und des Globus pallidus als Belege für krankheitsbedingte Veränderungen der Basalganglien (Giedd et al., 2000).

Es wird angenommen, dass Streptokokkeninfektionen und die daraus resultierenden autoimmunologischen Komplikationen einen – vermutlich kleinen – Teil der Fälle mit Zwangsstörungen ätiologisch erklären können. Dies gilt für Fälle mit präpubertärem Beginn, plötzlichem Beginn und episodischem Symptomverlauf, einer zeitlich zuzuordnenden Streptokokkeninfektion und einer Assoziation mit zusätzlichen neurologischen Symptomen (Snider & Swedo, 2004). Swedo und Kollegen prägten für diese Subgruppe den Begriff der PANDAS (pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with neurologic abnormalities). Bei Kindern mit starken Fluktuationen der Zwangssymptomatik ging diese mit dem Streptokokken-Titer einher (Murphy et al., 2004). Bei nach den PANDAS-Kriterien ausgewählten Patienten erwies sich eine immunmodulatorische Therapie als wirksam gegen die Zwangssymptome Perlmutter et al., 1999). Die antibiotische Prophylaxe von Streptokokkeninfektionen bei PANDAS-Patienten wird ebenfalls erprobt (Snider et al., 2005).