Hedwig Courths-Mahler - Folge 032 - Amtmanns Käthe

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783838754352 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 032 - Amtmanns Käthe


 

Siehst du denn die Notwendigkeit nicht ein, Georg?“

„Ja doch, Mutter, du hast Recht, das muss ich zugeben.“

„Nun also! So lass mich nicht immer wieder vergeblich reden. Es hilft nichts, ich kann nicht mehr so wirtschaften, wie ich möchte. Das ist ja kein Wunder. In kurzer Zeit habe ich die Siebzig erreicht. Kurz und gut, du musst wieder heiraten, eine Frau gehört auf den Brandnerhof, die mit jungen, frischen Kräften für mich einspringt.“

Die alte Dame mit dem klugen, energischen Gesicht holte tief Atem. Sie hatte viel und eindringlich sprechen müssen über ein Thema, das schon oft zwischen Mutter und Sohn erörtert worden war. Nun strich sie mechanisch über das blütenweiße Tischtuch und schob die Krümel, die von dem knusprigen Weißbrot abgesprungen waren, zusammen. Dabei blickte sie zu ihrem Sohn hinüber.

Georg Brandner war ein Mann von gut fünfunddreißig Jahren. Er war groß, schlank und elastisch. Seine Sehnen waren wie von Stahl, sein Gesicht markant und wettergebräunt.

Mit einem tiefen Seufzer schob er den Frühstücksteller zurück und strich nervös über das kurz gehaltene dunkle Haar.

„Also, in Gottes Namen denn, Mutter. Du lässt mir doch keine Ruhe.“

Frau Anna Brandner richtete sich rasch empor, und ihre ausdrucksvollen grauen Augen strahlten freudig auf.

„Wirklich, Georg, ich darf dich beim Wort nehmen? Du willst endlich deinen Widerstand aufgeben?“

Er lachte, halb verärgert, halb humorvoll.

„Wollen? Nein, Mutter. Aber es gibt ein stärkeres Etwas als meinen Willen – das Muss. Und weil das stärker ist, füge ich mich denn, aber schweren Herzens, das kannst du mir glauben. Leicht wird es mir nicht, eine zweite Ehe einzugehen nach den schlechten Erfahrungen, die mir die erste brachte.“

Anna Brandner seufzte leise.

„Ja doch, das glaube ich dir. Aber an diesen Erfahrungen warst du zum Teil selbst schuld, mein Sohn. Du hattest gewählt, ohne zu prüfen. Das rächt sich immer. Es ist mir heute noch rätselhaft, wie du eine solche Frau auf den Brandnerhof bringen konntest – einen Irrwisch, ein flatterhaftes, leichtfertiges Geschöpf ohne inneren Wert.“ Leiser Vorwurf zitterte in ihrer Stimme, wie immer, wenn sie auf ihre ehemalige Schwiegertochter zu sprechen kam.

Georg zog die Stirn düster zusammen. „Ach, Mutter, das kannst du mit deiner gleichmäßigen Ruhe, deinem leidenschaftslosen Temperament nie begreifen. Siehst du, als ich damals zum ersten Mal hinauskam in die große Welt, um mich meinen landwirtschaftlichen Studien zu widmen, kam es über mich wie ein Rausch. Ich war jung, Mutter, und hatte rasches, heißes Blut. Und Lotte war schön und heißblütig wie ich. Sie machte es mir nicht schwer, mich in sie zu verlieben. Dann starb der Vater. Noch ein Jahr lag damals vor mir. Du nahmst hier alles Schwere allein auf deine Schultern, damit ich mein Studium ungestört vollenden konnte.

Als ich dann fertig war … Ja, siehst du, Mutter, da fürchtete ich mich vor der Rückkehr in das alte, ruhige Leben, und ich malte mir aus, wie viel lustiger es auf dem Brandnerhof sein würde, wenn Lotte mit mir kam. So bat ich sie, meine Frau zu werden. Und sie willigte sofort ein.“

„Ja“, sagte seine Mutter mit gutmütigem Spott. „Und da brachtest du mir diese junge Frau ins Haus. Und aus euren Augen leuchtete mir der Vorsatz entgegen: Wir wollen leben und genießen, wollen den Brandnerhof auf den Kopf stellen. Und bitte, bleib uns hübsch vom Leib mit allem, was Pflicht und Lebensernst heißt!“

Georg musste lachen, so treffend hatte die Mutter seine damalige Stimmung geschildert.

„Ja, Mutter, so war es. Ich war bei meiner Heimkehr noch wie berauscht. Aber es war seltsam – hier auf dem Brandnerhof verflog dieser Rausch sehr schnell. Ganz von selbst klärten sich meine verworrenen Gedanken. Ich wurde mir bewusst, dass der Herr vom Brandnerhof nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hatte. Es machte mir Freude, das Gelernte praktisch verwerten zu können. Der echte Wesenskern der Brandner brach sich Bahn und hielt das rasche Blut von selbst im Zaum. Aber je ruhiger und abgeklärter ich wurde, desto mehr fiel mir nun auf, dass Lotte keine Frau war, die zu mir passte. Möglich auch, dass sie sich nach der Hochzeit anders zeigte, dass sie zuvor Komödie gespielt hatte. Kurzum, ich war bald so weit, meine Verheiratung als einen schweren Missgriff zu bereuen. Ich sah erst verwundert, dann mit heimlichem Entsetzen, wen ich mir da im Rausch der Gefühle an die Seite gestellt hatte. Lotte passte wohl zur Gefährtin eines leichtlebigen, übermütigen Studenten, aber nicht zu der eines Mannes, der sich dem Ernst des Lebens wieder zukehrte. Wie ein Zerrbild erschien sie mir in der Umgebung, in die ich sie leichtfertig verpflanzt hatte. Der Brandnerhof war kein Rahmen für ein Geschöpf wie sie. Sie war als Tochter eines Schauspielers ein anderes Leben gewöhnt. So kam dann, was kommen musste. Ich kann Lotte kaum einen Vorwurf daraus machen, dass sie anders war, als ich sie mir wünschte. Sie war eben das Produkt ihrer Abstammung und Erziehung.“

Die Mutter machte eine abwehrende Bewegung.

„Rede ihr nicht das Wort! Sie hat sich schamlos genug betragen. So tief darf ein Weib nicht sinken.“

„Ich weiß, du hast unter meiner verfehlten Ehe mehr gelitten als ich selbst. Ich habe dich und deine Ruhe deshalb oft bewundert.“

Die alte Dame zog die Stirn wie im Schmerz zusammen.

„Ruhe? Ach, mein Sohn, wie wenig ruhig sah es in mir aus in jener schrecklichen Zeit!“

„Um so bewundernswerter war deine Selbstbeherrschung. Ich habe sie dir gedankt im tiefsten Herzen. Und glaub mir, die zwei Jahre meiner Ehe haben mich schnell genug zum Mann reifen lassen. Als Lotte bei Nacht und Nebel den Brandnerhof verlassen hatte, war ich weit entfernt, Schmerz darüber zu empfinden. Im Gegenteil, ich atmete wie von einem quälenden Bann befreit auf. Es schmerzte nicht, dass sie mit dem Maler, der die Zeit seines Aufenthaltes benutzt hatte, ihr den Kopf zu verdrehen, davongelaufen war. Ich litt nur deinetwegen unter dem Skandal, der durch meine Scheidung heraufbeschworen wurde. Und ich gelobte mir, gutzumachen, was ich dir durch diese übereilte Ehe antat.

So, Mutter, nun wollen wir nicht mehr davon reden und uns bemühen, zu vergessen. Und weil wieder eine Frau auf den Brandnerhof muss und ich diesmal nur der Vernunft bei der Schließung einer Ehe Gehör gebe, deshalb willige ich ein, dass du mir eine Frau nach deiner Wahl zuführst. Ich selbst habe wahrhaftig kein Verlangen nach einer zweiten Ehe. So, wie ich jetzt mehr als fünf Jahre ohne Frau ausgekommen bin, würde ich auch ferner auskommen. Aber du sehnst dich nach Ruhe, nach einer tatkräftigen Hilfe – und nach einer Schwiegertochter nach deinem Herzen. So mag es denn sein, ich füge mich. Und vielleicht fahre ich dabei besser, als wenn ich wieder selbst wähle. Bist du nun zufrieden?“

Die alte Dame beugte sich über den Tisch und fasste seine Hand.

„Sag das nicht so resigniert, mein Sohn! Glaub mir, du wirst wieder aufleben, wirst ein anderer werden, wenn du eine junge Frau neben dir hast.“

Georg seufzte.

„Ich habe nicht eben eine große Meinung von den Frauen.“

„Weil du einmal an eine schlechte geraten bist? Das ist töricht, Georg. Es gibt gottlob ebenso viele gute und tüchtige Frauen wie Männer. Von allen jungen Mädchen, die ich kenne, ist Amtmanns Käthe nicht nur die hübscheste, sondern auch die beste, tüchtigste und ehrenhafteste.“

Georg nagte an seiner Lippe und sah nachdenklich vor sich hin. Er versuchte sich Käthe Suntheim in seinem Haus vorzustellen. Bisher hatte er sie wenig beachtet und kaum anzugeben gewusst, was für eine Farbe ihr Haar und ihre Augen hatten, obgleich er ihr zuweilen begegnet war. Das Haus des Amtmanns Suntheim lag am anderen Ende des Dorfes Brackenfeld.

Was er sonst von ihr und ihren Verhältnissen wusste, war auch nicht eben viel.

Er wusste, dass sie die zweitjüngste Tochter des Amtmanns Suntheim war, der außer ihr noch drei Töchter und zwei Söhne besaß. Der Amtmann hatte eine große Handelsgärtnerei und Baumschule. Sein fünfundzwanzigjähriger Sohn Otto und der einundzwanzigjährige Willy unterstützten ihn in seinem Betrieb. Für seine Frau sowohl wie für seine Töchter gab es reichlich genug Arbeit, da sie neben dem Haushalt für einige Kühe, Schweine und allerlei Geflügel zu sorgen hatten und außerdem bei Gelegenheit tüchtig in der Gärtnerei mit zugreifen mussten. Auch nähten sie sich Wäsche und Kleider selbst und hatten nur ein einziges Dienstmädchen zur Hilfe. Die älteste Tochter hieß Maria und zählte bereits dreißig Jahre. Sie war, wie alle Suntheimschen Kinder, sehr hübsch gewesen, begann aber schon zu verblühen. Die zweite Tochter, Helene, stand im sechsundzwanzigsten Lebensjahr und lahmte ein wenig. Dann kam Käthe, mit einundzwanzig Jahren. Sie war die hübscheste von allen. Das Nesthäkchen der Familie, die fünfzehnjährige Wally, besuchte noch die Schule in der nahen Stadt.

Alles in allem ging es bei Amtmanns ziemlich knapp her. Für die Töchter würde zur Not eine bescheidene Aussteuer beschafft werden können, das war alles.

Aber nach Geld und Besitz brauchte der Besitzer des Brandnerhofs nicht zu heiraten. Er war ein sehr reicher Mann.

Vor zweihundert Jahren waren die Brandners noch schlichte Bauern gewesen, Hörige des Grafen Brackenfeld, nach dem das Dorf seinen Namen hatte.

Jetzt stand von dem einstigen Grafenschloss nur noch eine malerische Ruine auf der Anhöhe. Aber die einstige Bauernhütte hatte sich zum stattlichen Anwesen...