Das gefallene Schwert - Roman

von: Miles Cameron

Heyne, 2014

ISBN: 9783641131913 , 1088 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das gefallene Schwert - Roman


 

2

Liviapolis · Aeskepiles und der Kaiser

Aeskepiles, der Magister des Kaisers, schritt vor ihm durch die Empfangshallen des Palastes; zwei nordikanische Wachen mit Äxten in den Händen begleiteten ihn. Ihre scharlachroten, reich bestickten Mäntel zeigten ihren Rang, und die großen Äxte sowie die schwere, lange Kette verdeutlichten ihre Aufgaben. Der Mann zu seiner Linken hatte eine Narbe, die vom rechten Auge bis zum linken Mundwinkel verlief, sodass er wie ein Höllendämon aussah. Der Mann rechts von ihm hatte Tätowierungen, die von der Stirn bis zum Nacken reichten und unter dem Kragen seines feinen Leinenhemdes verschwanden, das unter dem Kettenhemd undeutlich sichtbar war. Pagen folgten ihnen und trugen Helme sowie schwere Reiterspeere und Gesichtsschutz.

Der Kaiser hingegen steckte nicht in einer Rüstung. Er trug ein purpurnes Samtwams über einer scharlachfarbenen Hose und an den Füßen scharlachfarbene Schuhe, die nur er tragen durfte. Jede Schnalle an Schuhen und Gürtel, jeder Spitzenbesatz, jeder Knopf bestand aus massivem Gold. Doppelköpfige Adler waren mit Goldfäden auf Wams und Schuhe gestickt. Ein Page, einer der Palastdiener, trug die große Robe aus purpurner Seide, die ebenfalls mit Adlern bestickt und mit bräunlich-goldenem Pelz besetzt war.

Hinter dem Kaiser schritten weitere Nordikaner her. Jeder hatte seinen eigenen Pagen, und ihnen folgten weitere Amtsträger. Zwei trugen einen Sattel, einer hatte ein Schwert in der Hand, und zwei Sekretäre folgten dicht hinter dem Kaiser und schrieben seine Bemerkungen über die Staatsangelegenheiten und wirtschaftlichen Belange nieder, die ihm vom Majordomus und dem Kammerherrn aus einem ledergebundenen Buch vorgelesen wurden. Die beiden Männer wechselten sich mit ihren Vorträgen ab. Hinter ihnen befand sich Irene, die Tochter des Kaisers, die zusammen mit dem Logotheten der Trommel ging, einem schmalen Mann mit dem asketischen Aussehen eines Mönchs.

»Punkt dreizehn, Majestät. Zahlungsrückstände bei den Palastbediensteten, insbesondere bei der Leibwache.« Der Majordomus räusperte sich.

Kaiser Andronicus hatte das Blut der Paleologen in seinen Adern. Allgemein galt er als der schönste Mann im Reich und vielleicht sogar der ganzen Welt; seine Haut war dunkel gebräunt, das Haar glatt und blauschwarz, der Blick seiner dunklen Augen unter den gewölbten und ausdrucksstarken Brauen wirkte durchdringend. Außerdem hatte er einen langen, dichten Bart, um den ihn all seine Nordikaner beneideten. Tausend Jahre Fortpflanzung der schönsten Prinzen und Prinzessinnen aus der gesamten bekannten Welt hatten seiner Haut eine vollkommene Tönung und seinem Gesicht Züge von beinahe vollendeter Schönheit verliehen, die für gewöhnlich den idealisierten Unsterblichen vorbehalten war. Er schien wie aus Gold oder Bronze gegossen zu sein.

Seine Schönheit spiegelte sich in seiner Tochter wider, die nun die Hand auf den Arm des Logotheten legte. Der dünne Mann errötete und verneigte sich; dann trat sie neben ihren Vater. Irene ähnelte einer heidnischen Göttin.

»Dann bezahl sie«, sagte sie milde.

Der Majordomus verbeugte sich tief. »Imperator, wir haben kein Geld.«

Der Kaiser nickte.

Seine Tochter hob eine Braue. »Vater, wir müssen welches auftreiben«, sagte sie. »Unbezahlte Soldaten sind der Fluch von Kaisern und ganzen Reichen; sie sind für uns das, was die Fliegen für die Pferde sind.«

Der Magister warf einen raschen Blick auf die beiden Mörder, die den Zug anführten. Die Treue der Garde war legendär. Aber unbezahlte Soldaten waren tatsächlich so unangenehm wie der leibhaftige Teufel.

Der Magister hatte seine eigenen Gründe, aus denen er die Leibwache hasste – nicht der geringste bestand darin, dass sie ihm Angst machte. Er setzte eine unbeteiligte Miene auf und verbarg dahinter seine Gedanken.

Ich bin der größte Magister der Welt, und ich bin hier an diesem verblassenden, heruntergekommenen Hof gefangen, wo ich doch genauso gut anderswo sein könnte – ich könnte überall sein.

Ha! Und das werde ich auch bald sein.

Er sah den Kaiser nicht an. Und auch nicht seine Mitverschwörer.

»Wie viele Fragen des heutigen Morgens drehen sich um Geld?«, fragte der Kaiser.

Der Kammerherr kicherte. Er war ein großer Mann und sah wie ein Schläger aus; seinen Verstand verbarg er hinter seinem Lachen. »Alle Fragen drehen sich um Geld«, sagte er. »Außer denen nach Gott.«

Jegliches Gelächter wurde von dem eisigen Blick des Kaisers erstickt.

Irene wandte sich mit kalter Gleichgültigkeit an den Kammerherrn. »Ihr nehmt Euch zu viel heraus«, sagte sie.

Schweigend gingen sie weiter; ihre Schritte hallten leise durch die gewaltigen Marmorgewölbe, die die äußeren Hallen des Großen Palastes bildeten. Früher waren diese Hallen voller Abgesandter und aufgeregter Besucher gewesen. Über ihnen berichteten riesige Mosaiken von den Taten der Vorfahren des Kaisers. Hier war der heilige Aetius zu sehen, wie er die Wildnis in einer Schlacht besiegte, die beinahe fünfzig Ellen vollendet gestalteten Mosaiks einnahm. Die polierten Steine glitzerten hoch über ihnen, und das massive Gold an Aetius’ Schwertgriff schimmerte wie eine aufgehende Sonne im Zwielicht des frühen Morgens.

Der Kaiser hielt inne und blickte zu seinem fernen Vorfahren empor, der tausend Jahre zuvor gelebt hatte. Das Schwert des Heiligen steckte bis zum Griff in Amohkhans Brust, und der große Dämon ragte über ihm auf und wollte gerade mit seiner steinernen Axt auf ihn einschlagen. Die Fackeln der Diener im hinteren Teil der Prozession erhellten die Szenerie mit flackerndem Schein. Und der unablässige Luftzug, der durch die Hallen blies, kräuselte die Flammen und brachte die Szene zum Leben.

»Er hat alle aus der Familie des alten Kaisers getötet«, sagte der Kaiser. »Der heilige Aetius. Er hat Valens und seine Frau und all ihre Kinder und Enkel ermordet. Er glaubte, das würde einen Bürgerkrieg verhindern. Stattdessen hat er dem Reich den Kopf abgeschlagen.« Er blickte sich um. »Er hat der Wildnis bei Galun Einhalt geboten. Aber er hat das Reich vernichtet. Darin liegt eine wichtige Lektion.«

Der Kammerherr nickte weise. Der Majordomus wartete geduldig.

Irene sah ihren Vater mit leichtem Entsetzen im Blick an. Aeskepiles bemerkte es.

Sobald der Kaiser weiterging, sagte der Majordomus: »Es erscheint uns so, Majestät, dass die Lösung darin besteht, gewisse Sparmaßnahmen durchzuführen.«

Der Magister hätte den Majordomus am liebsten erwürgt. Er starrte den Mann mit einem bösen Blick an, der andere schien darüber erstaunt zu sein und wirkte verletzt.

Warum gerade jetzt? Warum heute? Warum nicht vor zehn Jahren, als wir noch genug Gebiete und ausreichend Steuereinnahmen hatten? In dem historischen Mosaik hoch über ihm erregte etwas die Aufmerksamkeit des Magisters. Der Würfel ist also gefallen.

Die Blicke des Kaisers und des Majordomus trafen sich. Er nickte wehmütig. »Dem stimme ich zu«, sagte er.

Die beiden Schreiber kritzelten rasch etwas auf ihre Wachstäfelchen.

Der Kaiser hob die Hand, als hätte er allmählich genug von diesen Dingen, was vermutlich auch der Fall war. Er schritt durch die Haupttür der äußeren Halle und sah, dass zwei Diener aus dem Osten mit einem Dutzend Pferden auf ihn warteten.

Die Pferde waren an die Säulen der großen Vorhalle gebunden. An diesem Ort wirkten sie seltsam unpassend, außerdem hoben ihre Bewegungen die Leere des riesigen Hofes und der beiden Säulengänge, die in die Ferne führten, deutlich hervor.

»Vielleicht sollten wir die Etrusker einladen, unseren Marmor zu brechen«, sagte der Kaiser und hob seine allzu vollkommen wirkenden Brauen. »Alles andere gehört ihnen ja sowieso schon.«

Einer der Schreiber setzte den Griffel an. Der andere gab ihm einen Stoß.

Einer der Ostmänner hielt dem Kaiser den Steigbügel, und er saß mit der geübten Eleganz eines erfahrenen Reiters auf. Sobald der weiße Wallach den Mann auf seinem Rücken spürte, erstarrte er, und der Kaiser lenkte das Pferd einige Schritte zurück und nahm von einem der Diener seine Reitrobe entgegen. Die Morgenluft war kühl.

Der Kammerherr gab dem Kaiser das Schwert. »Es ist noch genug Zeit für mich, Euch eine angemessene Eskorte zusammenzustellen, Majestät.«

Der Kaiser zuckte mit den Achseln. »Der Herzog hat mich gebeten, ohne eine solche zu kommen. Sollte ich etwa gerade jetzt anfangen, meinen Offizieren zu misstrauen?«

Aeskepiles hasste ihn. Er hasste seine nutzlose, sinnlose Zuversicht, sein endloses Vertrauen und seinen guten Willen.

Der Kaiser wandte sich an seinen Magister. »Ihr scheint heute Morgen nicht ganz bei der Sache zu sein, Gelehrter.«

»Eure Sorge ehrt mich, Majestät«, sagte der Magister. »Ich bin aber sicher, dass es nur Verdauungsschwierigkeiten sind.«

Der Kaiser nickte. »Ihr habt meine Erlaubnis, Euch zurückzuziehen, wenn es Euch das Beste...