Entwicklungen der Psychiatrie - Symposium anlässlich des 60. Geburtstages von Henning Sass

von: Frank Schneider

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783540301004 , 410 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 6,99 EUR

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Entwicklungen der Psychiatrie - Symposium anlässlich des 60. Geburtstages von Henning Sass


 

21 Die subjektive Befindlichkeit als Erfolgskriterium antipsychotischer Therapie (S. 191-192)

Dieter Naber
Eng verknüpft mit der Entwicklung der atypischen Antipsychotika, wurden innerhalb der letzten 10 bis 15 Jahre die Erfolgskriterien einer antipsychotischen Therapie sehr viel ehrgeiziger und umfassender. Neben einer stärkeren Berücksichtigung der Negativsymptomatik und der kognitiven Störungen ist insbesondere die überfällige Berücksichtigung der Patientenperspektive eine wesentliche Erweiterung.

Die Sicht der Betroffenen, ihre Lebensqualität oder ihre subjektive Befindlichkeit, wurden bis in die neunziger Jahre nur selten erhoben (Naber 2005). Angesichts der weiten Verbreitung antipsychotischer Therapie ist es überraschend, dass die Patientenperspektive so wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten hat, insbesondere in einem Fach, das ansonsten die Äußerungen der Patienten sehr ernst nimmt, weil u.a. die Diagnose zumindest in großen Teilen darauf beruht. Während die Angaben von Patienten über akustische Halluzinationen oder Wahnideen nur selten in Frage gestellt werden, sind Klagen über subjektive Nebenwirkungen der neuroleptischen Therapie wie Anhedonie oder Dysphorie für lange Zeit wissenschaftlich nur sporadisch untersucht worden (Hogan et al. 1983, Jaeger et al. 1990, Liddle u. Barnes 1988, van Putten u. May 1978, Selten et al. 1993, Singh u. Smith 1976).

Die Psychiater konzentrierten sich bezüglich der Nebenwirkungen weitgehend auf die motorischen Symptome, subtilere Beschwerden über affektive und kognitive Einbußen mit erheblicher subjektiver Belastung und Bedeutung für die Langzeittherapie wurden oft nicht ernst genommen oder als Negativsymptome fehlinterpretiert (Gerlach u. Larsen 1999, Hellewell 2002, Lewander 1994, Weiden et al. 1989, Windgassen 1992). Die emotionalen Einschränkungen unter Neuroleptika sind seit Beginn dieser Therapie bekannt und wurden überwiegend nur kasuistisch entsprechend ihrer sehr vielfältigen individuellen Ausgestaltung unterschiedlich beschrieben, z.B. als „neuroleptic dysphoria", „pharmacogenic depression", „akinetic depression", „neuroleptic depression", und „neuroleptic-induced anhedonia" (Voruganti u. Awad 2004).

So wurde häufig beim Fehlen deutlicher motorischer Nebenwirkungen irrtümlich angenommen, dass der Patient unter keinen relevanten Nebenwirkungen leidet. Bei erneuter Therapie z.B. nach einem psychotischen Rückfall erfuhr der Psychiater dann oft, dass sich der Patient zumindest in den ersten Monaten nach Absetzen der neuroleptischen Therapie deutlich besser fühlte und in seiner Überzeugung, dass die Medikamente ihm eher schaden als helfen, verstärkt wurde. Wahrscheinlich waren insbesondere drei Gründe für diese wissenschaftliche Zurückhaltung bedeutsam:

1. Viele Psychiater waren (sind?) überzeugt, dass die große Mehrheit der schizophrenen Patienten aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage ist, den Erfolg einer Therapie konsistent zu beurteilen. Dieses Vorurteil ist mittlerweile widerlegt: Zahlreiche Studien der letzten 10 bis 15 Jahre zeigen, dass die große Mehrheit der schizophrenen Patienten, wenn sie nicht mehr akut psychotisch oder kognitiv erheblich eingeschränkt sind, sehr wohl Selbstbeurteilungsbögen adäquat ausfüllen kann (Hogan u. Awad 1992, Lambert et al. 2003, Naber 1995, Voruganti et al. 1998).

2. In den 70er und 80er Jahren hatten die Psychiater wenig Möglichkeiten, auf die oder andere subjektiven Beschwerden ihrer Patienten hilfreich zu reagieren. Eine Reduktion der neuroleptischen Dosis war oft (manchmal nur vermeintlich) nicht möglich, eine bessere Aufklärung über die Notwendigkeit, Nutzen und Risiken der neuroleptischen Behandlung nicht üblich oder nicht erfolgreich. Der Wechsel von einem hochpotenten typischen Antipsychotikum zu einem anderen ist nach Sicht der Literatur nur bei 5 % der Patienten erfolgreich und der Wechsel von einem hochpotenten zu einem niederpotenten (oder umgekehrt) wurde nur selten durchgeführt.