Anwalt des Teufels - Der Fall Jürgen Bartsch

Anwalt des Teufels - Der Fall Jürgen Bartsch

von: Nicolette Bohn

Militzke Verlag, 2013

ISBN: 9783861899624 , 200 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Anwalt des Teufels - Der Fall Jürgen Bartsch


 

Täter

Aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll vom 21. Juni 1966

Mein Name ist Jürgen Bartsch.

Ich bin etwa zwei Stunden informatorisch gehört worden. Dabei habe ich bereits zugegeben, vier Jungen getötet und in einem alten Luftschutzstollen in Langenberg vergraben zu haben. Ich bin nunmehr bereit, diese Angaben zu einer Niederschrift zu wiederholen und erkläre folgendes:

Nach meinem zehnten Lebensjahr bin ich von meinen Eltern in ein Internat gebracht worden, weil sie sich wegen Personalmangels nicht in der nötigen Weise um mich kümmern konnten. Dort verblieb ich etwa drei Jahre. An dieser Stelle möchte ich bemerken, daß ich meine leiblichen Eltern gar nicht gekannt habe. Ich wuchs bei Pflegeeltern auf, bei denen ich auch heute noch wohne und in deren Geschäft ich als Metzgergeselle tätig bin.

Während meiner Internatszeit mußte ich feststellen, daß ich mich sexuell zu anderen Jungen hingezogen fühlte. Es ist während dieser Zeit zwar nicht zu sexuellen Abartigkeiten zwischen mir und anderen Jungen gekommen, aber ich habe mich auf sexuellem Gebiet immer zu ihnen hingezogen gefühlt. Dieses Gefühl hat sich in den späteren Jahren ständig verstärkt. Ich bin einfach nicht dagegen angekommen. Ich habe einmal mit meinem Stiefvater darüber gesprochen, der mir riet, einen Arzt aufzusuchen. Ich habe hierzu aber einfach nicht den Mut gefunden.

Mein sexuelles Verlangen nach Jungen wurde schließlich nur noch dadurch gestillt, daß ich diese tötete.

Eröffnung des Bartsch-Prozesses vor dem Wuppertaler Landgericht. 29. November 1967

Novembernebel lag über regennassen Dächern. Der Prozess gegen Jürgen Bartsch wurde am 29. November 1967 vor der ersten Jugendstrafkammer des Wuppertaler Landgerichtes eröffnet. Insgesamt hatte dieser Prozess, der als »Jahrhundertprozess« im Nachkriegsdeutschland Kriminal- und Rechtsgeschichte schrieb, die kurze Dauer von nur acht Verhandlungstagen. In den frühen Morgenstunden, lange vor Prozessbeginn, versammelte sich eine empörte Menschenmenge vor dem Gerichtsgebäude. Mit Rufen wie »Hängt die Bestie auf!«, »Warum wollt ihr so einen das Leben lang am Fressen halten?«, »Macht mit dem Kirmesmörder kurzen Prozess!«, verlangte die aufgebrachte Menschenmenge lautstark nach der Todesstrafe. Doch noch war Jürgen Bartsch nicht verurteilt, und es war ungewiss, welches juristische Strafmaß ihn am Ende tatsächlich erwarten würde. Die Neue Illustrierte Revue stellte in einem Artikel vom 22. Oktober 1967 mehrere Möglichkeiten des Strafmaßes dar:

»Der vierfache Kindermörder Jürgen Bartsch sagt von sich selbst: »Ich habe den Tod verdient.« Die Todesstrafe ist in der Bundesrepublik im Jahre 1949 abgeschafft worden. Welche Möglichkeiten hat das Gericht, wenn sich die Bestie von Langenberg in Kürze für die grausamen Verbrechen verantworten muß?

Lebenslänglich

Wird Bartsch, der zum Zeitpunkt seiner Straftaten noch nicht volljährig war, nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt, dann erwartet ihn wegen vierfachen Kindermordes viermal lebenslänglich Zuchthaus.

Heilanstalt

Wird Bartsch von den Gutachtern für zurechnungsunfähig erklärt, kommt er in eine Heilanstalt. Gelangen die Psychiater zu dem Schluß, daß er vermindert zurechnungsfähig ist, kann er mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bestraft und nach der Verbüßung in eine Heilanstalt eingewiesen werden.

Jugendstrafe

Wird Bartsch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, so ist das höchst­zulässige Strafmaß zehn Jahre Jugendstrafe. Danach müßte er entlassen werden.«

An der Stirnwand des hohen Gerichtssaales war ein Mosaik angebracht. Es zeigte das biblische Urteil des König Salomo, in dem es um das geplante Zerschneiden eines Kindes ging. Das Urteil des König Salomo aus dem Alten Testament galt seit Urzeiten als Zeichen für Gerechtigkeit:

»Zu der Zeit kamen zwei Huren zum König und traten vor ihn. Und die eine Frau sprach: Ach, mein Herr, ich und diese Frau wohnten in einem Hause, und ich gebar bei ihr im Hause. Und drei Tage, nachdem ich geboren hatte, gebar auch sie. Und wir waren beieinander, und kein Fremder war mit uns im Hause, nur wir beide. Und der Sohn dieser Frau starb in der Nacht; denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt. Und sie stand in der Nacht auf und nahm meinen von meiner Seite, als deine Magd schlief, und legte ihn in ihren Arm, und ihren toten Sohn legte sie in meinen Arm. Und als ich des Morgens aufstand, um meinen Sohn zu stillen, siehe, da war er tot. Aber am Morgen sah ich ihn genau an, und siehe, es war nicht mein Sohn, den ich geboren hatte. Die andere Frau sprach: Nein, mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist tot. Jene aber sprach: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. Und so redeten sie vor dem König. Und der König sprach: Diese spricht: Mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist tot. Jene spricht: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. Und der König sprach: Holt mir ein Schwert! Und als das Schwert vor den König gebracht wurde, sprach der König: Teilt das lebendige Kind in zwei Teile und gebt dieser die Hälfte und jener die Hälfte. Da sagte die Frau, deren Sohn lebte, zum König – denn ihr mütterliches Herz entbrannte in Liebe für den Sohn – und sprach: Ach, mein Herr, gebt ihr das Kind lebendig und tötet es nicht! Jene aber sprach: Es sei weder mein noch dein; lasst es teilen! Da antwortete der König und sprach: Gebt dieser das Kind lebendig und tötet’s nicht; die ist seine Mutter. Und ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, Gericht zu halten.«

(1. Buch der Könige, 3. Kapitel, Vers 16–28)

»… und um Gerechtigkeit zu sprechen, sind wir heute hier«, eröffnete der vorsitzende Richter, der 61-jährige Landgerichtsdirektor Dr. Wülfing, mit lauter Stimme den Prozess. Neben ihm saßen zwei Schöffen, eine 68-jährige Hausfrau und ein 49-jähriger Gewerbeoberstudienrat. Staatsanwalt Fritz Klein war 50 Jahre alt, verheiratet und hatte vier Kinder. Der 37-jährige Rechtsanwalt Heinz Möller hatte die Verteidigung von Jürgen Bartsch übernommen. Das hatte ihn bereits vor Prozessbeginn Drohanrufe und schlaflose Nächte gekostet, denn ebenso wie Klein war Möller vierfacher Familienvater. Die Bartschs hatten sich mit Jürgens Verteidigung an Möller gewandt, weil er ihren Sohn in der Vergangenheit schon einmal wegen eines Verkehrsdeliktes verteidigt hatte. Jürgen Bartsch war bereits mehrfach vorbestraft: wegen Alkohol am Steuer, Unzuchtshandlungen mit minderjährigen Knaben und versuchten Diebstahls. Rechtsanwalt Möller war sich bewusst, dass die meisten Menschen seine Bereitschaft, »den Bartsch zu verteidigen«, nicht nachvollziehen konnten. »Auch dieser Junge hat ein gerechtes Urteil verdient«, rechtfertigte Möller vor den Journalisten seine Entscheidung. »Ich will mithelfen, es zu finden. Die ›gärende Volksseele‹ gegen sich zu haben, ist das Berufsrisiko eines Rechtsanwaltes. Sie wird sich jedoch wieder beruhigen. Mich interessiert vor allem, die Psyche des Jungen aufzudecken, das komplizierte Innenleben. Eine sorgsame Verteidigung haben auch seine Eltern verdient.«

Während der Hauptverhandlung waren nur Journalisten, Kriminalisten und Gutachter zugelassen. Nach Paragraf 48, Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes hätte die Verhandlung öffentlich geführt werden müssen, da es sich bei dem Angeklagten um einen Heranwachsenden handelte. Gemäß Paragraf 172 des Gerichtsverfassungsgesetzes stellte die öffentliche Verhandlung der Bartsch- Morde jedoch eine Gefahr für die Sittlichkeit dar. In einem solchen Fall spielte es keine Rolle mehr, ob es sich bei dem Angeklagten um einen Jugendlichen handelte oder einen Erwachsenen. Der Prozess musste also in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Auch die Presse war aufgefordert, sich mit der Schilderung besonders grauenvoller Einzelheiten zurückzuhalten, um das Sittlichkeitsempfinden der Öffentlichkeit nicht zu gefährden.

Dreizehn Hauptbände Akten lagen auf dem Richtertisch, dazu zahlreiche Metzgermesser, an denen noch verkrustetes Blut klebte. Die Messer waren in Plastikfolie mit Aufschrift verpackt und dienten als Beweismaterial. Die Psychiater Prof. Dr. Hans Lauber, Prof. Dr. Friedrich Panse und Oberarzt Prof. Dr. Bresser saßen in der ersten Gutachterreihe. Sie hatten Jürgen Bartsch während der Untersuchungshaft mehrfach befragt und getestet. Die drei Hauptgutachter galten mit ihren psychiatrischen Ansichten in wissenschaftlichen Kreisen als sehr umstritten. Friedrich Panse war während des Zweiten Weltkrieges Wehrmachtspsychiater gewesen. In nachweislich 15 Fällen hatten Panses Gutachten dazu geführt, dass die Beurteilten zum Tode verurteilt worden waren. Die Auswahl der Gutachter legte den meisten Menschen die Vermutung nahe, dass die Richter Jürgen Bartsch mit allen Mitteln zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilen wollten.

In der zweiten Gutachterreihe saßen zahlreiche Fachärzte und psychologische Wissenschaftler. Die hohe Zahl der wissenschaftlichen Gutachter war für den außenstehenden Betrachter ein sicht­bares Zeichen dafür, dass die Kompliziertheit von Jürgen Bartschs Taten den Sachverstand der anwesenden Juristen zu überfordern drohte. Nachdem die Türen des Saales geschlossen waren und die Verhandlung beginnen konnte, wurde Jürgen Bartsch die Treppe heraufgeführt, die unmittelbar in die Anklagebank mündete. Er trug einen dunkelgrünen Anzug und eine dezente Krawatte, die Frau Bartsch extra für die Verhandlung gekauft hatte. Es fiel auf, dass man ihm keine Handschellen angelegt hatte. Zwei Justizbeamte bewachten ihn. Der Angeklagte...