Tschö mit Ö - Dumme Todesfälle aus der Geschichte

von: David Alliot, Philippe Charlier

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783838753393 , 269 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Tschö mit Ö - Dumme Todesfälle aus der Geschichte


 

I. Die Ausschweifenden


Ist es ein peinlicher oder ein beneidenswerter Umstand, auf dem Höhepunkt der Lust sein Leben auszuhauchen oder zu sterben, während man einer begehrenswerten Frau hinterherläuft? Angeblich ist dieses Ableben das Schicksal von Glückskindern – etwas, das man sich selbst oder seinen besten Freunden wünscht. Ein schöner Tod, der Legende nach.

Ebenso hedonistisch wie elitär gilt »die letzte Leidenschaft« als eine der seltensten Todesursachen. Wir wissen nur von wenigen historischen Persönlichkeiten, die auf diese Weise zu einem (etwas schlüpfrigen) posthumen Ruhm kamen. Zu unseren Helden zählen ein Monarch, ein französischer Staatspräsident, ein afrikanischer Diktator, ein Schriftsteller, aber auch jede Menge Mitglieder des Klerus, wobei die Formulierung »Mit-Glied« in diesem Zusammen­hang eine völlig neue Bedeutung erhält – ebenso wie die Idee der Heiligsprechung …

Vor den Kopf gestoßen


LUDWIG III. VON FRANKREICH (ca. 862-882)

Ludwig III. von Frankreich, ein Ur-Ur-Enkel von Karl dem Großen und ältester Sohn von Ludwig II. (der interessanterweise »der Stammler« genannt wurde), wird nach dem Tod seines Vaters am 11. April 879 zum König gekrönt.

Seine Herrschaft ist kurz und glanzlos. Drei Jahre nach der Thronbesteigung stirbt der junge König, als er sich den Schädel am Sturz einer sehr niedrigen Tür zertrümmert. Der ungeschickte (und offensichtlich auch nicht ganz ausgelastete) Monarch hatte auf dem Rücken eines Pferdes ein Mädchen verfolgt, das sich im Haus seines Vaters in Sicherheit zu bringen versuchte.

Der Schürzenjäger Ludwig III. hinterlässt den Thron seinem Bruder Karlmann. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit der Familie. Der junge König stirbt nur zwei Jahre später, nachdem er bei einer Jagdpartie im Wald von Bézu von einem seiner Getreuen verwundet wurde. Unabsichtlich, immerhin, und weit und breit kein aus- beziehungsweise einladendes Dekolleté in Sicht. Glaubt man der Überlieferung.

Der Fluch des Türsturzes indes verfolgt die französischen Könige auch weiterhin: Sechs Jahrhunderte später beißt König Karl VIII. fast auf dieselbe Weise ins Gras wie Ludwig III. Der Monarch ist zu Fuß im Schloss Amboise unterwegs, und auch er stößt sich den Kopf an einem Türsturz. Er jagte allerdings keinem amourösen Abenteuer hinterher, sondern wollte bloß zum Ballhaus. Angeblich. (D. A.)

Die Bestattungspumpe


FÉLIX FAURE (1841–1899)

Jeder Franzose kennt die wenig erbauliche Geschichte des Präsidenten Félix Faure, der im Élysée-Palast das Zeitliche segnete. Kurz zuvor hatte er Besuch von einer »Bekannten«, die jedoch gleich nach dem überraschenden Ableben des Staatsmannes durch eine Geheimtür in seinen Privaträumen verschwunden sein soll. »Eine simple atheromatöse Arterie, die in einem nicht vom Protokoll vorgesehenen Anfall platzte, nahm uns diesen grandiosen, beinahe königsgleichen, grotesken Menschen«, schreibt der französische Journalist, Politiker und Staatsmann Georges Clemenceau zwei Jahre nach dem Vorfall.

Faure gehört dreimal der Regierung an: 1881 als Unterstaatssekretär, zuständig für den Handel und die Kolonien, von 1885 bis 1887 erneut als Unterstaatssekretär, dieses Mal verantwortlich für die Marine und die Kolonien, und 1894 als Marineminister im letzten Kabinett des linken Präsidenten Jules Ferry. Der in Paris am 31. Januar 1841 geborene Faure ist Sohn eines Möbelfabrikanten. Als gemäßigter Republikaner profiliert er sich als Konsul von Griechenland sowie stellvertretender Bürgermeister und Präsident der Handelskammer. Im Plenarsaal gilt er als Fachmann für Reedereien und koloniale Monopole und wird für seine profunde Kenntnis der Seefahrt und seine geradezu katzenhafte Vorsicht geschätzt.

Das bleibt nicht unbemerkt. Anfang 1895 zwingt der überraschende Rücktritt von Präsident Jean Paul Casimir-Périer die Parlamentarier, sich in Versailles zu versammeln, um einen Nachfolger für die Spitze der Grand Nation zu wählen. Sein sicheres Auftreten und seine weitreichenden Kontakte machen Faure zu einem interessanten Kandidaten für die Gemäßigten. Am 17. Januar 1895 wird er nach einigem Hin und Her im dritten Anlauf zum französischen Staatspräsidenten gewählt.

Von diesem Augenblick an beginnt die Verwandlung des Mannes aus einfachen Verhältnissen. Faure ist ein stattlicher Mann, er liebt den Prunk und strebt eine Aufwertung der Präsidentenfunktion an, die sich zu Beginn der 3. Republik als eher glanzlos darstellt. Er ist es, der die Jagdpartien in Rambouillet zu einem Treffpunkt der Schickeria macht, und er legt Wert darauf, alljährlich das Pferderennen in Auteuil im vierspännigen Landauer zu eröffnen.

Zu allem Überfluss ist Faure ziemlich eitel. Er lässt einen mit Orden geschmückten Präsidentenanzug entwerfen, der wie die Uniform eines Kaisers aussieht und im Ministerrat mit betretenem Schweigen zur Kenntnis genommen wird. Man nennt ihn »den Sonnenpräsidenten« – in Anlehnung an den verschwenderischen Sonnenkönig Ludwig XIV. Der Republikaner, der sich selbst als Monarchen sieht, verheiratet ist und Kinder hat, vertritt die Meinung, dass ihm (wie jedem großen Regenten) alle Frauen der Welt zustehen. Man sagt ihm eine Menge Eroberungen nach.

Auf einer Reise durch die Alpenregion wird ihm die charmante Marguerite Steilheil, genannt »Meg«, vorgestellt. Sie ist die Ehefrau eines Malers, dem es danach nie wieder an offiziellen Aufträgen fehlt – nur leider an einer treuen Ehefrau. Die kleine dralle Brünette ist äußerst intelligent und pfiffig. Und sie zehrt an der Konstitution des Staatschefs, der sie fortan regelmäßig in seinen privaten Räumen empfängt. Am 16. Februar 1899, nachdem er einige Papiere unterzeichnet und anschließend einigermaßen zerstreut den Erzbischof von Paris und den Fürsten von Monaco empfangen hat, trifft der Präsident müde, aber zufrieden seine geliebte Meg im Silbernen Boudoir.

Kurz darauf bemühen sich Faures Kabinettschef und ein Arzt vergeblich, ihn zu reanimieren, während sich Madame Steinheil hurtig durch den Hinterausgang davonmacht. Offiziell erleidet der erste Mann Frankreichs einen Hirnschlag. Eingeweihte aber kennen die Wahrheit und schweigen. Jedenfalls am Anfang.

Knapp zehn Jahre nach Faures Ableben gelangt die Geschichte auf spektakuläre Weise erneut in den Fokus der Öffentlichkeit, als die schöne Meg in einige verbrecherische Aktivitäten verwickelt wird. Man legt ihr den Doppelmord an ihrem Ehemann und ihrer Stiefmutter zur Last.

Eine Mörderin im Élysée-Palast? Da wird ja wohl die Frage gestattet sein, ob Faure wirklich ganz freiwillig das Zeitliche gesegnet hat.

Ein Polizeibericht vom 24. November 1908 nimmt Bezug auf den Flurfunk in der Abgeordnetenkammer. Die ehemalige Mätresse des Präsidenten ist das Tagesgespräch: »Über den wichtigsten Punkt war man sich einig: Félix Faure erlitt einen Herzinfarkt, als er sich einem sehr intimen Zeitvertreib mit Madame Steinheil hingab. Auch über die Natur dieses Zeitvertreibs herrschte Einigkeit. Es wurde berichtet, dass Madame Steinheil, die gern und großzügig Interviews gab, Félix Faure an diesem Tag, ebenso wie schon viele Male zuvor, bewiesen hatte, wie geschickt sie mit ihrer Zunge umzugehen verstand, und dass Félix Faure sie nur zu lang hatte reden lassen.«

Man tauft Meg kurzerhand »die Bestattungspumpe« und beschuldigt sie, Präsident Faure mit ihren lasziven Zärtlichkeiten ermordet zu haben. Es wird von mit Spanischer Fliege, einem starken Aphrodisiakum, versetzten Süßigkeiten gemunkelt und sogar von einer »Blausäurezigarre«, welche die Meuchelmörderin ihrem Präsidenten-Liebhaber geschenkt haben soll. Nun, es ist nicht erst seit Bill Clinton bekannt, dass Zigarren eine politische Karriere im Nullkommanichts in Flammen aufgehen lassen können …

Natürlich sind auch die hinter vorgehaltener Hand getuschelten Vorwürfe zu hören, das Ganze hätte einen politischen Hintergrund. Unter diesen Vorzeichen findet 1909 das Verfahren wegen Doppelmordes gegen Meg Steinheil statt. Der Prozess zieht weite Kreise. Am Ende wird die Femme fatale nicht nur freigesprochen, sondern erweckt auch das Interesse einer ausgesprochen guten Partie. Ein reicher Engländer, den die mysteriöse Schwarze Witwe fasziniert, hält um ihre Hand an. Als Lady Scarlett Abinger verbringt sie ihren Lebensabend in England, wo sie am 18. Juli 1954 mit fünfundachtzig Jahren friedlich stirbt. (B. F.)

Schwer ums Herz


RAYMOND-THÉODORE BARTHELMESS genannt HENRI CALET (1904–1956)

Raymond Barthelmess wird am 3. März 1904 geboren. Der Werdegang des künftigen Autors hört sich an wie aus einem Roman: Seine Mutter versteckt ihn im besetzten Belgien. Nach seiner Rückkehr nach Paris hält sich der junge Mann mit allerlei kleinen Jobs über Wasser. Er wird Gehilfe eines Gerichtsvollziehers, Vertreter für Rasierseife und Angestellter in einer Apotheke. Schließlich stellt ihn die Gesellschaft Electro Cable ein. Um dem grauen Arbeitsalltag zu entfliehen, wettet Barthelmess gern bei Pferderennen. Die Schulden drücken. In seiner Not fälscht er Unterschriften und plündert den Safe seiner Firma. Als der Betrug und der Diebstahl auffliegen, flieht er unter dem falschen Namen Henri Calet nach Montevideo. Dort gerät er in die Gesellschaft von Außenseitern und professionellen Chaoten, die ihm beim Verjubeln seiner Diebesbeute helfen. 1934 wird er in Frankreich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt – glücklicherweise ist er aber immer noch in Uruguay und kann deswegen nicht eingebuchtet werden.

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