Im Schatten der Gerechtigkeit - Historischer Kriminalroman

von: Anne Perry

Goldmann, 2013

ISBN: 9783641127343

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Im Schatten der Gerechtigkeit - Historischer Kriminalroman


 

2


Tags darauf, so gegen zehn, begab sich Monk wieder in die Hastings Street vierzehn. Diesmal empfing ihn Julia Penrose im Zustand sichtlicher Sorge.

»Guten Morgen, Mr. Monk«, sagte sie, als er hereinkam, und schloß die Tür hinter ihm. Sie trug ein helles Blaugrau, das ihrem zarten Teint sehr entgegenkam, obwohl es sich nur um ein gewöhnliches, hochgeschlossenes Tageskleid fast ohne jeden Zierat handelte. »Sie werden doch umsichtig sein, ja?« fragte sie besorgt. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sie Erkundigungen einziehen wollen, ohne den Leuten zu sagen, wonach Sie suchen, oder Verdacht zu erregen. Es wäre eine Katastrophe, würde jemand die Wahrheit erfahren. Ja, allein schon, wenn er sie ahnen würde!« Mit verkniffenen Brauen und geröteten Wangen blickte sie ihn an. »Selbst Audley, Mr. Penrose, war gestern neugierig, warum Sie uns Ihre Aufwartung gemacht haben. Er mag Cousin Albert nicht besonders und hätte nicht gedacht, daß es mir da anders geht. Und um die Wahrheit zu sagen, ich mag ihn auch nicht, aber er war nun einmal die beste Ausrede, die mir einfallen wollte.«

»Sie brauchen sich nicht die geringsten Sorgen zu machen, Mrs. Penrose«, sagte er ernst. »Ich werde sehr diskret vorgehen.«

»Aber wie?« drängte sie ihn mit etwas schärferer Stimme jetzt. »Was können Sie sagen, um Ihre Fragen zu erklären? Dienstboten reden nun mal, wissen Sie!« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Selbst die besten. Und was sollen die Nachbarn denken? Was in aller Welt könnte eine respektable Person wohl für Gründe haben, einen privaten Ermittler zu beauftragen?«

»Wollen Sie die Ermittlungen eingestellt sehen, Madam?« fragte er sie völlig ruhig. Er würde das sehr gut verstehen, er wußte schließlich immer noch nicht, was sie mit der Information anzufangen gedachte, für den Fall, daß er sie ihr tatsächlich beschaffen konnte; wo sie doch keine Strafverfolgung anzustreben gedachte.

»Nein!« sagte sie wild und knirschte mit den Zähnen. »Nein, das möchte ich nicht! Es ist nur so, daß ich ausgesprochen klar überlegen muß, bevor ich Ihnen weiterzumachen gestatte. Es wäre leichtsinnig, weiterzumachen und damit noch mehr Schaden anzurichten, nur weil mir an dieser Angelegenheit gar so viel liegt.«

»Ich hatte mir vorgestellt zu sagen, in Ihrem Garten sei, sehr zu Ihrem Unwillen, ein kleiner Schaden angerichtet worden«, sagte Monk. »Einige zertretene Pflanzen und, falls Sie welche haben, einige zerbrochene Scheiben auf Ihrem Frühbeet. Ich werde fragen, ob die Gärtner vielleicht Jungs beim Spielen gesehen hätten, die unerlaubterweise herübergeklettert seien und den Schaden angerichtet haben könnten. Das wird wohl schwerlich einen Skandal oder unziemliche Spekulationen auslösen.«

Erstaunen huschte über ihr Gesicht; dann stellte sich die Erleichterung ein. »Oh, was für eine ausgezeichnete Idee!« sagte sie, gleich Feuer und Flamme. »Darauf wäre ich nie gekommen! Es hört sich so einfach und alltäglich an. Ich danke Ihnen, Mr. Monk, ich bin wirklich beruhigt.«

Er konnte nicht umhin, zu lächeln. »Ich bin froh, daß Sie zufrieden sind. Aber mit Ihrem eigenen Gärtner wird das wohl nicht so einfach.«

»Wieso nicht?«

»Weil er weiß, daß das Frühbeet nicht zu Bruch gegangen ist«, antwortete er. »Ich nehme lieber das eines Nachbarn und hoffe, daß man nicht in der ganzen Straße darüber tratscht.«

»Oh!« Aber sie stieß ein kurzes Lachen aus; der Gedanke schien sie eher zu belustigen, als ihr Sorgen zu machen. »Möchten Sie heute mit Rodwell sprechen? Er ist im Augenblick hinten im Garten.«

»Ja, danke. Das wäre eine gute Gelegenheit.« Und ohne weitere Diskussion führte sie ihn zur Seitentür hinaus in den Baumgarten, wo sie ihn sich selbst überließ. Er fand den Gärtner auf den Knien, beim Unkrautjäten an der Rabatte.

»Guten Morgen, Rodwell«, sagte Monk freundlich und stellte sich neben ihn.

»Morgen, Sir«, antwortete Rodwell, ohne aufzublicken.

»Mrs. Penrose hat mir gestattet, mit Ihnen über einige Schäden zu sprechen, die hier in der Gegend angerichtet wurden. Könnte ja sein, daß Sie irgendwelche Fremden gesehen haben«, fuhr Monk fort.

»Ach ja?« Rodwell ging in die Hocke und betrachtete Monk neugierig. »Was für Schäden sollen das denn sein, Sir?«

»Frühbeete, zertretene Pflanzen und dergleichen.«

Rodwell schürzte die Lippen. »Nein, also ich kann nicht sagen, daß ich hier einen Fremden gesehen hätte. Hört sich ganz nach Jungs an, wenn Sie mich fragen – ist höchstwahrscheinlich beim Spielen passiert«, meinte er ächzend. »Da wirft einer einen Ball, Kricket, na Sie wissen ja selber. So was passiert eher aus Übermut, würd’ ich sagen, als aus Bosheit.«

»Vermutlich«, pflichtete Monk ihm mit einem Nicken bei. »Aber es ist nicht gerade ein angenehmer Gedanke, daß ein Fremder herumlungert und mutwillig Schaden anrichtet, und wenn er noch so gering sein mag.«

»Mrs. Penrose hat mir gar nichts davon gesagt!« Rodwell verzog das Gesicht und spähte Monk zweifelnd an.

»Hat sie auch keinen Grund dazu«, meinte Monk kopfschüttelnd. »In ihrem Garten ist wahrscheinlich nichts kaputtgegangen.«

»Nein – nicht das Geringste ... Na ja, ein paar Blumen, schon, ja, drüben am Westmäuerchen. Aber das hätte weiß Gott was sein können!«

»Dann haben Sie also die letzten beiden Wochen über keinen hier herumlungern sehen? Sind Sie sicher?«

»Nicht einen«, sagte Rodwell mit absoluter Sicherheit. »Den hätt’ ich so was von flott verscheucht, hätt’ ich den. Ich kann Fremde im Garten nicht haben. Da geht immer mal was zu Bruch, ganz wie Sie sagen.«

»Na schön, dann danke ich Ihnen für Ihre Geduld, Rodwell.«

»Keine Ursache, Sir.« Damit rückte der Gärtner seine Mütze zurecht und machte sich wieder über sein Unkraut her.

Als nächstes stattete Monk der Nummer sechzehn einen Besuch ab und fragte nach der Dame des Hauses. Das Dienstmädchen kam nach knapp zehn Minuten zurück, um ihn in ein kleines, aber ausgesprochen ansprechendes Arbeitszimmer zu führen, wo hinter einem Rosenholzschreibtisch eine nun wirklich ältere Dame saß, der gleich ein ganzer Strang Perlenketten auf den Busen hing. Sie sah Monk neugierig an, bevor sie sich eingehender und mit beträchtlichem Interesse seinem Gesicht widmete. Monk schätzte sie auf wenigstens neunzig Jahre.

»Nun denn«, sagte sie befriedigt. »Ein ziemlich merkwürdiger junger Mann, der sich nach gebrochenen Scheiben im Garten erkundigt.« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß – von den diskret gewichsten Schuhen über die tadellosen Hosenbeine und das elegante Jackett bis zu seinem harten, hageren Gesicht mit den stechenden Augen und dem boshaften Mund. »Sie sehen mir nicht gerade aus, als wüßten Sie eine Schaufel von einem Spaten zu unterscheiden«, fuhr sie fort. »Und ganz sicher verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt nicht mit den Händen!«

Nun war sein eigenes Interesse geweckt. Sie hatte ein faltiges, aber liebenswürdiges Gesicht voller Humor und Wißbegierde, und in ihren Bemerkungen klang nicht die geringste Kritik an. Seine Ungewöhnlichkeit schien sie eher zu freuen.

»Das müssen Sie mir schon näher erklären.« Sie wandte sich nun völlig vom Schreibtisch ab, ganz so, als interessiere Monk sie weit mehr als der Brief, den sie gerade schrieb.

Er lächelte. »Gern, Madam«, erklärte er sich bereit. »Ich mache mir nicht wirklich Sorgen um ein paar Scheiben. Sie sind leicht zu ersetzen. Aber Mrs. Penrose ist etwas erschreckt über den Gedanken, daß sich hier Fremde herumtreiben könnten. Miss Gillespie, ihre Schwester, hält sich gern im Gartenhäuschen auf, und der Gedanke, jemand könnte sie dabei beobachten, ohne daß sie es merkt, ist ihr unangenehm. Vielleicht ist ihre Sorge ja grundlos, aber sie hat sie nun einmal.«

»Ein Spanner! Wie geschmacklos!« sagte die alte Dame, die auf der Stelle verstand. »Oh, ich kann sehr gut verstehen, daß sie die Angelegenheit verfolgt sehen will. Sie ist ein lebhaftes Mädchen, Mrs. Penrose, aber von ausgesprochen zarter Konstitution, fürchte ich. Das ist bei so hellen Mädchen gar nicht so selten. Muß gar nicht so leicht sein für die drei.«

Monk war verwirrt; ihre Aussage schien ihm doch etwas übertrieben. »Für die drei?« wiederholte er.

»Na, so ganz ohne Kinder«, sagte die alte Dame und sah ihn mit leicht geneigtem Kopf an. »Aber das müssen Sie doch bemerkt haben, junger Mann?«

»Ja, sicher, selbstverständlich. Ich habe es nur nicht mit ihrer Gesundheit in Verbindung gebracht.«

»Ach, mein Lieber – ist das nicht wieder typisch Mann?« Sie machte ein mißbilligendes Geräusch. »Natürlich hat das mit ihrer Gesundheit zu tun! Seit acht oder neun Jahren ist sie nun verheiratet. Was sollte es wohl sonst sein? Der arme Mr. Penrose erträgt es ja ausgesprochen tapfer, aber was sollte er auch anderes tun? Ein weiteres Kreuz für das arme Wesen. Eine angekratzte Gesundheit ist mit das Schlimmste, was es gibt.« Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Sie betrachtete ihn eingehend mit leicht zusammengekniffenen Augen, so konzentrierte sie sich. »Nicht daß Ihnen so etwas auffallen würde, wenn ich Sie mir so ansehe. Tja, einen Spanner habe ich nicht gesehen, aber andererseits sehe ich auch nicht weiter als bis zum Fenster. Mein Augenlicht läßt mich langsam im Stich. Das ist nun mal so in meinem Alter. Nicht, daß Sie davon viel verstünden. Ich nehme nicht an, daß Sie älter als fünfundvierzig sind.«

Monk zuckte zusammen, verkniff sich jedoch jede Bemerkung. Er zog es vor zu glauben, daß man ihm seine fünfundvierzig Jahre nun wirklich nicht ansah, aber dies war nicht die Zeit für Eitelkeiten, und die...