Forensisch-psychologische Diagnostik im Strafverfahren

von: Renate Volbert, Klaus-Peter Dahle

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783840914607 , 160 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Forensisch-psychologische Diagnostik im Strafverfahren


 

"3 Die Begutachtung der Gefährlichkeits- und Kriminalprognose des Rechtsbrechers (S. 67-68)

Klaus-Peter Dahle


3.1 Grundlagen

3.1.1 Rechtliche Fragestellungen und Anforderungen

Das deutsche Recht verlangt bei einer Vielzahl strafrechtlicher Entscheidungen über einen Rechtsbrecher den Einbezug kriminalprognostischer Einschätzungen der Risiken erneuter Straftaten. Tatsächlich erwartet der Gesetzgeber bei jeder einzelnen Strafzumessung vom Gericht, hierbei auch „die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, (…) zu berücksichtigen“ (§ 46 I StGB) – mithin eine Wirkprognose der auszusprechenden Sanktion auf das zukünf tige Legalverhalten des Täters zu treffen. Kriminalprognosen sind insoweit basaler Bestandteil des Strafrechts, daher trifft sie in den allermeisten Fällen der Richter nach eigener Sachkunde und eigenem Ermessen.

Dort, wo es um Rechts entscheidungen von erheblicher Tragweite geht, sehen Gesetze jedoch die Herbeiziehung von Sachverständigen vor, die den Richter mit methodischer und verhal tens wissenschaftlicher Expertise unter stützen sollen. Ihre Aufgabe ist es, die erforderliche Rechtsentscheidung in ihren kriminal prognostischen Bezügen auf eine wissenschaftlich fundierte Grund lage zu stellen, wobei der Gesetz geber die Notwenigkeit zur Herbeiziehung sach ver ständiger Prognose gutachten in den letzten Jahren systematisch ausgeweitet hat.

Im Rahmen eines strafgerichtlichen Hauptverfahrens sind solche Gutachten vor allem bei der Anordnung freiheitsentziehender Maß regeln der Besserung und Sicherung erforderlich, dies sind die strafgericht lich ange ord nete Unter bringung eines psychisch gestörten (§ 63 StGB) oder sucht mittelabhängigen (§ 64 StGB) Täters in eine psychiatrische Einrichtung oder die zusätzlich zur Strafe anzuordnende Siche rungs verwahrung eines sogenannten Hang täters (§§ 66 f StGB) in einer Justizvollzugsanstalt („Einweisungsprognosen“).

Da diese Maßregeln die „Gefährlichkeit“ des Täters voraussetzen, soll der Gutachter die Frage beantworten, ob bei dem Pro banden weitere erhebliche Taten zu erwarten sind. Im strafgerichtlichen Vollstreckungsverfahren sind Prognosegutachten bei der Bewährungs aussetzung lebenslanger Freiheits strafen und des Restes zeitlich befristeter Freiheitsstrafen in Fällen schwerer Anlassdelikte (Sexual- und Gewalt straftaten und Verbrechenstatbestände, sofern die Freiheitsstrafe mehr als zwei Jahre beträgt) erforderlich sowie bei Fragen der Aussetzung freiheits entziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung („Entlas sungs pro gnosen“). In beiden Fällen soll sich das Gutachten „… namentlich zu der Frage … äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefähr lichkeit fortbesteht“ (§ 454 II StPO).

Deutlich ausgeweitet hat sich in den einzelnen Bundesländern zudem die Praxis, bei Tätern mit schweren Anlass taten auch im Rahmen voll zug licher Lockerungs entscheidungen externe Sach verstän - dige einzu be ziehen. Diese sollen einerseits zur lang fristigen Rückfallprognose Stellung nehmen und hiermit die Aussichten des Gefangenen auf eine mittelfristig abseh bare (Rest-)Strafaussetzung aus loten. Andererseits sollen sie aber auch das Miss brauchs risiko einschätzen, dass er etwaige Lockerungen für die Begehung neuer Straftaten oder zur Flucht nutzt."