Liturgie als Theologie

von: Walter Homolka

Frank & Timme, 2005

ISBN: 9783865960085 , 177 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Liturgie als Theologie


 

Peter von der Osten-Sacken

Von den jüdischen Wurzeln des christlichen Gottesdienstes (S. 130-131)

D. Eduard Lohse zum 80. Geburtstag

1. Fremdheit und Nähe: Die Weite des Themas

Wer heute als Christin oder als Christ einen beliebigen traditionellen jüdischen Gottesdienst besucht, wird ohne nähere Vorkenntnisse kaum auf den Gedanken kommen, dass es einen besonderen Zusammenhang zwischen ihm und dem christlichen Gottesdienst geben könnte. Dies gilt nicht nur deshalb, weil der synagogale Gottesdienst christlichen Besuchern allein schon aufgrund der hebräisch gesprochenen Gebete verschlossen ist. Denn selbst wenn wir uns diesen Gottesdienst ganz in der Landessprache vorstellten, würde eine erhebliche Fremdheit bleiben. Die Ahnung einer Gemeinsamkeit würde sich am ehesten immer dann einstellen, wenn Texte aus den Juden und Christen gemeinsamen biblischen Schriften erklingen. Doch würde selbst dies alsbald an eine Grenze stoßen. Denn im synagogalen Gottesdienst stehen vielfach Texte im Mittelpunkt, die in den christlichen Kirchen keinen vergleichbaren Rang haben.

Die dennoch gegebene, zum Teil enge Verwandtschaft zwischen beiden Gottesdienstformen wird erst erkennbar, wenn wir uns nicht von Impressionen leiten lassen, sondern etwas systematischer vorgehen. Deshalb fragen wir zunächst nach Faktoren, die ganz generell die Größe ‚Gottesdienst‘ bestimmen, und wählen sie als ersten Leitfaden, um Zusammenhänge zwischen jüdischem und christlichem Gottesdienst zu erfragen. Solche Faktoren sind vor allem: der Ort (oder der Raum), den eine Gemeinschaft braucht, um Gottesdienst feiern zu können, sodann die Zeit oder die Zeiten, von denen ihr Leben bestimmt wird und die sie gottesdienstlich begeht und gestaltet, weiter gehören zu den herausragenden Faktoren gottesdienstlichen Geschehens die Personen, die einzelne organisatorische oder liturgische Funktionen wahrnehmen, ferner die Riten oder festen Abläufe, durch die das gemeinsame gottesdienstliche Handeln geregelt wird, und nicht zuletzt ist, bereits in enger Nachbarschaft zu den Riten, die Prägung des Gottesdienstes durch Sprache im weitesten Sinne zu nennen – durch heilige Texte, durch motivisch fest fixierte oder verschriftlichte Gebete, durch Lieder und durch freie Rede.

Unter diesen Faktoren, deren Reihe sich sicher erweitern ließe, kommen dem Ort oder den Orten, der Zeit und den Zeiten und schließlich der Sprache mit ihren verschiedenen Manifestationen in der Frage nach den jüdischen Wurzeln des christlichen Gottesdienstes die größte Bedeutung zu. Was die Größe Ort betrifft, so sind für die christliche Frühzeit nach Ausweis des Neuen Testaments drei Bereiche gottesdienstlichen Lebens im weitesten Sinne von Bedeutung gewesen: der Tempel als das Zentrum allen Gottesdienstes, die Synagoge – auch wenn sie in jüngerer Zeit als Ort mehr oder weniger regulären Gottesdienstes in der Zeit des Zweiten Tempels bestritten worden ist1 – und das Haus oder die Familie als die Stätte, an der die Religion in bestimmten Formen eingeübt und praktiziert wird. Fraglos kommt dieser letzten Größe, dem Haus oder der Familie, neben dem Tempel besonderes Gewicht zu. Es ist selbstevident und wird sich später auch noch an einem signifikanten Beispiel zeigen: Die Entstehung, Ausbreitung und auch die Ausformung eines gottesdienstlichen Lebens der frühchristlichen Gemeinden wären gar nicht denkbar gewesen, hätte es nicht an den verschiedensten Orten Menschen gegeben, die in einem jüdischen Hause gelernt haben, ‚wie man so etwas macht‘, nämlich als Einzelner, in einem kleinen oder in einem größeren Kreis, religiös zu leben.

Was die Zeiten angeht, so gilt die Orientierung des christlichen gottesdienstlichen Lebens am jüdischen für den Tag, für die Woche und für das Jahr. Für den Tag ist der bereits früh aus dem Judentum übernommene Usus zu nennen, dreimal täglich das Hauptgebet zu beten, d. h. im christlichen Kontext das Vaterunser.