Meine Heimat, deine Heimat - Begegnungen in Ostpreußen

von: Wolf von Lojewski

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783838704852 , 304 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Meine Heimat, deine Heimat - Begegnungen in Ostpreußen


 

16. Zweimal durch die Hölle (S. 142-143)

Es ist ein indischer Glaube oder eben Aberglaube, dass es Glück und ein langes Leben verspricht, jemanden zu berühren, der wie durch ein Wunder eine Katastrophe überlebt hat. Erzählt hat mir die Geschichte ein amerikanischer Konsul in Bombay, dem dies geschah und den wir daraufhin in eine Sendung des ZDF einluden. Er hatte in einem Flugzeug der Äthiopischen Luftfahrtgesellschaft gesessen, das ihn und hundertvierundsiebzig weitere Passagiere von Addis Abeba über Nairobi nach Bombay bringen sollte. Kurz nach dem Start am 23. November 1996 drangen drei bewaffnete Gestalten in die Kanzel des Piloten vor und forderten ihn auf, er solle sie nach Australien fliegen. Den verzweifelten Einwand des Flugkapitäns, er müsse aber vorher noch irgendwo zwischenlanden, um die Maschine aufzutanken, brüllten sie nieder, fuchtelten mit ihren Waffen herum und zwangen ihn, über Nairobi hinweg weiter geradeaus nach Süden zu fliegen.

Kurz vor Madagaskar setzte erst ein Motor der Boeing aus, dann der zweite. An einem Strand der Komoren – einer Inselgruppe im Indischen Ozean – beobachteten und filmten Badegäste, wie sich etwa fünfhundert Meter vom Ufer entfernt ein großes Flugzeug im Gleitflug auf das Wasser senkte, aufschlug und in drei Teile zerbrach. Nur zweiundfünfzig der hundertfünfundsiebzig Menschen an Bord überlebten. Die Bilder des spektakulären Unglücks liefen über die Fernsehschirme der ganzen Welt und waren die Sensation eines zu Ende gehenden Jahres. Noch heute kann man sie sich im Internet herunterladen.

Unser Studiogast hatte den Absturz nicht nur überlebt, er blieb auch – gegen alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit – unverletzt. Welchem Umstand er sein Glück verdankte, daran konnte erinnern. Vermutlich, so erklärte er sich selbst seine wundersame Errettung, sei das Flugzeug genau in der Sitzreihe vor ihm auseinandergebrochen, und er sei dann aus der plötzlich entstandenen Öffnung ins Wasser geschleudert worden. Badegäste, daran erinnerte er sich wieder, hätten ihn mit einem Surfbrett oder einer Luftmatratze ans Ufer gezogen. Wieder zurück in Bombay, stieß ihm schon wieder etwas Ungewöhnliches zu.

Tagelang hätten sich indische Kollegen und auch völlig Fremde um ihn geschart und an ihn gedrängt, nur um ihn einmal anzufassen. Diese gläubigen oder eben abergläubischen Hindus hätten sich davon erhofft, dass die guten Kräfte, die ihn in so aussichtsloser Situation beschützt hatten, durch die Berührung auf sie überströmten. Natürlich habe auch ich diesem Amerikaner – gleichsam in Ferntherapie an Millionen vor den Fernsehschirmen – meinen Arm auf die Schulter gelegt. Geschadet hat es sicherlich nicht, und der freundliche, immer noch glückliche Konsul war die Prozedur ja inzwischen gewohnt. Zwölf Jahre später, auf einer Veranstaltung in der Neuen Synagoge in Berlin, treffe ich noch einmal auf einen von großem Unheil getroffenen und dann vom Schicksal behüteten Menschen. Und wieder gerate ich in Versuchung, die guten Kräfte anzuzapfen, die ihm in tausend Nöten zur Seite standen.