Lese-Rechtschreibstörungen

von: Andreas Warnke ua.

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840916342 , 181 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Lese-Rechtschreibstörungen


 

1 Stand der Forschung (S. 1-2)

1.1 Symptomatik

Lese-Rechtschreibstörung ist die Bezeichnung für eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung im Erlernen von Lesen und Rechtschreiben. Die Lese-Rechtschreibstörung ist dabei nicht Folge von unzureichender Beschulung, einer Intelligenzminderung, anderen körperlichen, neurologischen oder psychischen Erkrankungen und auch nicht Folge von unzureichender familiärer Förderung. Beeinträchtigt ist die Fähigkeit, Worte lesen zu lernen oder gelesene Worte wieder zu erkennen und sie vorzulesen. Dadurch sind auch das Leseverständnis und alle Leistungen, für die eine Lesefähigkeit nötig ist, erschwert. Fast immer ist auch das Erlernen der Rechtschreibung beeinträchtigt. Das Lesen wird meistens ausreichend erlernt, bleibt jedoch verlangsamt. Die Rechtschreibung ist bis in das Erwachsenenalter fehlerhaft. Der umschriebenen Entwicklungsstörung des Lesens und Rechtschreibens gehen oft im Vorschulalter Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind begleitende emotionale Störungen und Verhaltensstörungen häufig.

Nach der „Internationalen Klassifikation psychischer Störungen" (ICD- 10, Dilling et al., 1994) ist die umschriebene Lese-Rechtschreibstörung als „umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten" klassifiziert mit folgender Definition:

Definition

„Das Hauptmerkmal dieser Störung ist eine umschriebene und eindeutige Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, durch Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wiederzugeben, vorzulesen und die Leistungen bei Aufgaben, für welche Lesefähigkeit benötigt werden, können sämtlich betroffen sein. Mit Lesestörungen gehen häufig Rechtschreibstörungen einher. Diese persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn im Lesen einige Fortschritte gemacht wurden (…). Die Leseleistungen des Kindes müssen unter dem Niveau liegen, das auf Grund des Alters, der altersgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten ist (…). In der späteren Kindheit und im Erwachsenenalter sind die Rechtschreibprobleme meist größer als Defizite in der Lesefähigkeit" (S. 257–258).

Mit dieser Definition einer „umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung" ist zugleich ausgesagt, dass es noch andere Begründungen für Leistungsstörungen im Lesen und Rechtschreiben gibt (siehe Kapitel 1.1.2). Bei der umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung wird angenommen, dass sie im engen Zusammenhang mit Besonderheiten der biologischen Reifung des zentralen Nervensystems steht (siehe Kapitel 1.3). Die diagnostische Besonderheit der umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung liegt in dem doppelten Diskrepanzkriterium: 1. Diskrepanz: das Niveau im Lesen und in der Rechtschreibung ist mangelhaft oder ungenügend im Vergleich altersgleicher Schulpopulation; 2. Diskrepanz: das Niveau im Lesen und in der Rechtschreibung ist wesentlich niedriger als das gemessene Intelligenzniveau.

Für die Diagnose ist schließlich ausschlaggebend, dass die Lese-Rechtschreibstörung die Bewältigung von schriftsprachlichen Anforderungen, wie etwa in Schule und Beruf, deutlich behindert (z.B. auf Grund von Rechtschreibfehlern und somit schlechter Deutschnote, wird dem grundsätzlich gymnasial begabten Schüler der Übertritt auf das Gymnasium verwehrt). Klassifikatorisch ist die umschriebene Lese-Rechtschreibstörung im Multiaxialen Klassifikationsschema nach ICD-10 (MAS, Remschmidt et al., 2001) den „umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten" zugehörig (Achse 2; siehe Kapitel 1.1.2 und 2.1). In dem „Statistischen Manual psychischer Störungen" der Psychiatrischen Gesellschaft der USA DSM-IV (Saß et al., 1996) ist die Lese-Rechtschreibstörung als „Lernstörung" den klinischen Störungen (Achse 1 von DSM-IV) zugeordnet. Eine „isolierte Rechtschreibstörung" (ICD-10 F81.1), die in der ICD- 10 von der „umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung" (ICD-10 F81.0) abgegrenzt wird, ist durch eine umschriebene und eindeutige Beeinträchtigung in der Entwicklung von Rechtschreibfertigkeiten ohne Vorgeschichte einer umschriebenen Lesestörung definiert. Diese gesonderte Gruppe von Personen mit ausschließlich Rechtschreibschwierigkeiten wird im DSM-IV nicht eigenständig klassifiziert. Die „Störung des schriftlichen Ausdrucks" ist nur im DSM-IV als diagnostische Einheit eingeführt. Sie könnte nach ICD-10 als „andere umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeit" (F81.8) verschlüsselt werden. Bei der Störung des schriftlichen Ausdrucks bestehen Schwächen beim Abfassen schriftlicher Texte. Zusätzlich zu den Rechtschreibfehlern ist der Satzbau dysgrammatisch, die Strukturierung des Textes ist ungenügend und die Handschrift unleserlich. Entscheidend ist die Feststellung, dass die Person sich schriftsprachlich nicht alters- und begabungsadäquat auszudrücken vermag.