Motivationsdiagnostik

von: Falko Rheinberg

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840916151 , 170 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Motivationsdiagnostik


 

3 Die Erfassung motivationsrelevanter Tätigkeitsqualitäten (S. 31-32)

3.1 Theoretische Annahmen
Eine Tätigkeit, die schon im Vollzug großen Spaß macht, braucht keine weitere Veranlassung, um ausgeführt zu werden. „Motivationsprobleme" ergeben sich allenfalls dann, wenn man diese Tätigkeit häufiger und intensiver ausführt, als es mit Blick auf unerwünschte Konsequenzen gut wäre (z.B. Übergewicht beim Essen; Gesundheitsschäden beim Rauchen; finanzieller Schaden beim zwanghaften Spielen etc.). Ist der Tätigkeitsvollzug neutral oder gar negativ, muss sich die aktuelle Motivation auf anreizbesetzte Ergebnisfolgen und/oder die Fremdsteuerung stützen, sofern engagierte Zielverfolgung zu Stande kommen soll. Das ist weit unsicherer und erfordert mehr kognitive Zwischenprozesse, als eine Motivation, die sich unmittelbar aus dem positiven Anreiz des Tätigkeitsvollzugs ergibt.

Wenn der Arzt jemandem sagt, er müsse zwecks Blutdrucksenkung häufig Fahrrad fahren, so hat dieser Patient großes Glück, wenn er sich ohnehin gerne in der frischen Luft bewegt. Personen, die dieses positive Vollzugserleben nicht haben, müssen sich ständig mit Blick auf die gesundheitlichen Folgen zur Tätigkeitsaufnahme aufraffen. Sie werden immer wieder wichtige/ dringende Dinge haben, die sie heute leider vom Radfahren abhalten. Häufig werden sie ihre vernünftigen Vorsätze auch einfach vergessen. Die Schülerin, die sich gerne mit Zahlen und logischen Systemen befasst, hat für das Fach Mathematik eine günstige Prognose, wenn sie wegen einer Krankheit im Unterricht für längere Zeit gefehlt hat und deshalb nacharbeiten muss. Die hier erforderliche Beschäftigung mit Mathematikaufgaben macht ihr ohnehin Freude und sie wird sie nicht vor sich herschieben, wie sie das vielleicht im ungeliebten Fach Erdkunde tut.

Oberflächlich betrachtet, sind die Dinge also trivial. Nicht trivial ist dagegen die Frage, was dann genau solche Tätigkeitsanreize ausmacht und wie sie in ihrer individuellen Unterschiedlichkeit entstanden sind. Hierzu weiß die Forschung erst relativ wenig. Die klassische Motivationspsychologie hatte nämlich die Tendenz, Motivation über Anreize und Wahrscheinlichkeiten von Folgen zu verstehen und weniger über den Anreiz der Tätigkeit selbst. Teils wegen der mitunter problematischen Auswirkungen hoch positiver Tätigkeitsanreize (Suchtverhalten, s. o.), vor allem aber wegen der massiven Motivationskonsequenzen fehlender positiver Tätigkeitsanreize ist es ratsam, solche Anreize routinemäßig gleich zu Beginn jeder Motivationsdiagnose zu erfassen. Von daher steht im Diagnoseschema der Abbildung 2 die Frage nach den Tätigkeitsanreizen auch an erster Stelle. Bemerkenswerterweise gibt es allerdings erst wenige Verfahren, die gezielt zu dieser Frage entwickelt wurden. Aus der jüngeren Forschung lassen sich aber Methoden übernehmen, die auch in der Praxis verwendbar sind. Sie werden im Folgenden auszugsweise vorgestellt. Die Verfahren sind meist quantitativer Art. Qualitative Aspekte lassen sich durch standardisierte Interviews abklären (s. Abschnitt 3.5). Neben der üblichen rückblickenden Selbstauskunft lässt sich gerade hier die in situ Erhebung durch die Erlebens- Stichproben-Methode (ESM) sinnvoll einsetzen (siehe Abschnitt 3.3.1).

3.2 Bestimmung der Attraktivität einer Tätigkeit

3.2.1 Die Persönliche Hitliste (PH)

Geht es nur darum, festzustellen, wie gerne jemand eine Tätigkeit ausführt, so kann man diese Tätigkeit natürlich auf einer entsprechenden Skala („gar nicht gerne" bis „sehr gerne") einordnen lassen. Insbesondere, wenn man unter Alltagsbedingungen vorhersagen will, was jemand wahrscheinlich tun wird, müsste man dazu auch die Attraktivität der möglichen Konkurrenztätigkeiten kennen. So könnte Englisch zwar ein Lieblingsfach in der Schule sein, gleichwohl ist deshalb nicht sicher, dass sich die Englischhausaufgaben im nachmittäglichen Verdrängungswettbewerb gegen das Reiten oder ein Treffen mit dem Freund durchsetzen können. Um hier zu einer absoluten und individuell möglichst lebensnah verankerten Einschätzung zu kommen, kann man die Persönliche Hitliste (PH) einsetzen (Rheinberg, 1989, S. 137 f.). Dies kann schriftlich geschehen oder gesprächsweise mit optischer Skalenunterstützung. Die Skala reicht von 1 (unbeliebteste Tätigkeit) bis 9 (beliebteste Tätigkeit).