Depression

von: Wolfgang Ihle, Gunter Groen, Daniel Walter, Günter Esser, Franz Petermann

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840923814 , 172 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Depression


 

Auch in Studien, in denen eine dimensionale bzw. subklinische Erfassung der depressiven Symptomatik erfolgte, kann der Geschlechtsunterschied beobachtet werden. Ab der frühen Adoleszenz werden bei Mädchen deutlich häufiger depressive Verstimmungen und andere Depressionssymptome festgestellt als bei Jungen (z.B. Ge et al., 2001; Lazaratou, Dikeos, Anagnostopoulos & Soldatos, 2010). Psychosoziale Beeinträchtigungen. Depressive Störungen gehen in der Regel mit ernsthaften psychosozialen Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Lebensund Funktionsbereichen und Problemen bei der Bewältigung alltäglicher Anforderungen einher. Diese Beeinträchtigungen können sich längerfristig auf die weitere Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen auswirken, da der Aufbau altersgemäßer sozialer, kognitiver und emotionaler Kompetenzen negativ beeinflusst wird. Im Rahmen der von Merikangas et al. (2010) durchgeführten Studie zeigte sich, dass 74.4 % der Jugendlichen mit einer Major Depression oder Dysthymie als schwer beeinträchtigt eingeschätzt werden mussten. Kasten 2 stellt verschiedene Begleiterscheinungen der Depression dar (vgl. Fergusson & Woodward, 2002; Segrin, 2000).

Alter bei Störungsbeginn.
Zahlreiche Studien belegen, dass in den letzten Jahrzehnten eine Vorverlagerung des Gipfels des Störungsbeginns vom mittleren zum frühen Erwachsenenalter stattfand (Kessler et al., 2003). Prävenzraten depressiver Störungen im späten Jugendalter kommen inzwischen denen des Erwachsenenalters nahe. Im Folgenden gehen wir näher auf Studien mit Kindern und Jugendlichen ein. Das mittlere Alter bei Beginn einer Depression liegt in der Allgemeinbevölkerung häufig zwischen dem frühen und mittleren Jugendalter. In der Studie von Lewinsohn et al. (1994) zum Beispiel lag das durchschnittliche Alter bei erstmaligem Auftreten einer Major Depression bei 14bis 18-jährigen Jugendlichen bei 14.9 Jahren. Im Rahmen der Bremer Jugendstudie gaben die Jugendlichen (12 bis 17 Jahre) mit einer Major Depression ein durchschnittliches Alter von 12.9 Jahren bei Störungsbeginn an. Lediglich 25 der 145 Jugendlichen mit Major Depression (17.2 %) berichteten, dass ihre Störung erstmals vor dem 11. Lebensjahr aufgetreten sei. Die restlichen 120 Jugendlichen datierten den Störungsbeginn zwischen dem elften und 17. Lebensjahr. Für die dysthyme Störung betrug das durchschnittliche Erstmanifestationsalter 12.0 Jahre (Groen, 2002). Ab dem Jugendalter ist das Risiko für eine persistierende Depression besonders hoch (Groen & Petermann, 2005). Bei behandelten depressiven Kindern und Jugendlichen wurde generell ein früherer Beginn der Depression festgestellt. In der bekannten klinischen Längsschnittstudie von Kovacs und Mitarbeitern (1997) lag das mittlere Alter bei Beginn einer Major Depression bei 10.9 Jahren. Bei Kindern und Jugendlichen mit komorbider Angststörung zeigte sich ein signifikant früherer Störungsbeginn als bei Fällen ohne zusätzliche Angststörung (9.6 vs. 10.5 Jahre). Für die dysthyme Störung konnte ein recht frühes erstmaliges Auftreten festgestellt werden; das durchschnittliche Erstmanifestationsalter lag bei 8.7 Jahren (Kovacs, Obrosky, Gatsonis & Richards, 1997).

Dauer depressiver Episoden. In der Bremer Jugendstudie lag die angegebene Dauer der Major Depression zwischen zwei und 104 Wochen, die mittlere Länge lag bei etwa acht Wochen. In knapp der Hälfte der Fälle berichteten die Jugendlichen von zweioder dreiwöchigen depressiven Phasen (Groen, 2002). In der Studie von Lewinsohn et al. (1994) reichte die Dauer einer Major Depression von zwei bis 520 Wochen. Die mittlere Dauer betrug gut 26 Wochen, der Median acht Wochen. Kinder und Jugendliche in klinischen Studien wiesen längere depressive Phasen auf. Hier lag die mittlere Dauer der Episoden von Major Depression in verschiedenen Studien bei 28 (Rao et al., 1995), 35 (Strober, Lampert, Schmidt & Morell, 1993), 36 (McCauley et al., 1993) und 39 Wochen (Kovacs et al., 1997). Die mittlere Dauer der dysthymen Störung betrug bis zu 3.9 Jahren (Kovacs et al., 1997).

Zeitspanne bis zur Remission. Depressive Störungen weisen in der Mehrzahl der Fälle einen phasenhaften Verlauf auf. In mehreren klinischen Studien konnte festgestellt werden, dass ein recht hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Major Depression nach einer gewissen Zeit wieder weitestgehend symptomfrei war. So wiesen zum Beispiel ein Jahr nach Studienbeginn 98% (Emslie et al., 1997), 80% (McCauley et al., 1993), 67 % (Sanford et al., 1995), 63 % (Fine, Haley, Gilbert & Forth, 1993), 49 % (Kovacs et al., 1997) oder 31 % (Asarnow, Goldstein, Tompson & Guthrie, 1993) der Kinder und Jugendlichen mit einer zugrundeliegenden Depression keine entsprechende Diagnose mehr auf. Dabei ist die Spannbreite der durchschnittlichen Episodendauer sehr groß. In der Studie von Emslie et al. (1997) betrug die mittlere Zeit bis zur Genesung von einer Major Depression ungefähr zwei Monate. In einer Studie von Kovacs et al. (1997) bestand die größte Wahrscheinlichkeit zur Remission zwischen dem neunten und dem zwölften Monat.

Depressionsrisiko im Erwachsenenalter.
Offenbar liegt ein im Erwachsenenalter deutlich erhöhtes Störungsrisiko beim Vorliegen einer Depression im Kindesund Jugendalter vor. Lewinsohn, Allen, Seeley und Gotlib (1999) überprüften das erstmalige bzw. das Wiederauftreten der Major Depression bei Heranwachsenden im Alter von 19 bis 24 Jahren, die im Alter von 14 bis 18 Jahren eine Major Depression aufgewiesen hatten. Die Teilnehmer mit ehemaliger Major Depression hatten mit 45.0 % das höchste Risiko einer neuen depressiven Episode im jungen Erwachsenenalter; ihr Risiko war signifikant höher als bei Fällen mit nicht affektiven Diagnosen (28.2%) und störungsfreien Gleichaltrigen (18.5%). Die durchschnittliche jährliche Auftretensrate einer Major Depression in diesen Gruppen betrug 9.0 %, 5.5 % und 3.7 %.

Risiko für andere, nicht depressive psychische Störungen.
In Längsschnittstudien konnte festgestellt werden, dass depressive Kinder und Jugendliche auch ein ernstes Risiko tragen, im weiteren Verlauf und bis in das Erwachsenenalter andere, nicht depressive Störungen zu entwickeln oder beizubehalten. Zu diesen weiteren Diagnosen zählen vor allem Angststörungen und Störungen durch Substanzkonsum, aber auch externalisierende Verhaltensstörungen, Persönlichkeits-, Essund somatoforme Störungen. In vielen Fällen lagen diese Störungen bereits bei der Erstuntersuchung komorbid zur Depression vor und dauerten dann weiter an; in anderen Fällen entwickeln sie sich erstmalig in Folge der Depression. In der neuseeländischen Christchurch Health and Development Study (Fergusson & Woodward, 2002) zeigte sich bei Jugendlichen der Allgemeinbevölkerung, die im Alter von 14 bis 16 Jahren eine Major Depression entwickelten, bei späteren Befragungen im Alter von 18 und 21 Jahren neben einem erhöhten Depressionsrisiko auch eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für Angststörungen sowie den Missbrauch und die Abhängigkeit von Alkohol und Nikotin.

Kasen et al. (2001) befragten Jugendliche im durchschnittlichen Alter von 12.7 und 15.2 Jahren sowie ein weiteres Mal im jungen Erwachsenenalter mit 21.1 Jahren. Sie stellten fest, dass die Fälle mit der Diagnose einer Major Depression im Jugendalter als Erwachsene deutlich häufiger eine Persönlichkeitsstörung aufwiesen. Das größte Risiko bestand für die dependente Persönlichkeitsstörung, gefolgt von der dissozialen, passivaggressiven und histrionischen Persönlichkeitsstörung. Auch im Rahmen der Bremer Jugendstudie trugen depressive Jugendliche im Hinblick auf das Vorliegen anderer Störungen ein hohes Verlaufsrisiko. Zur zweiten diagnostischen Befragung wiesen sie mit 46.7% signifikant häufiger mindestens eine andere der untersuchten Störungen auf als die Jugendlichen der anfangs störungsfreien Kontrollgruppe mit 28.9%.