Händler, Mullahs, Autokraten

Händler, Mullahs, Autokraten

von: Wolfgang Günter Lerch

Allitera Verlag, 2003

ISBN: 9783865200174 , 177 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 13,50 EUR

Mehr zum Inhalt

Händler, Mullahs, Autokraten


 

Iranische Miniaturen (S. 108-109)
 
»Persien ist das wahre Reich der Mitte« (Hushang Schehabi)

Wie die orientalischen Wüstengeister, die berühmten Ghule, tauchen Windhosen am Horizont auf und ziehen den Blick wie magisch auf sich. Drei, vier Stück auf einmal sind zu sehen. Sie wirbeln Sand und Erde auf, saugen an, was ihnen im Weg steht, und verschwinden dann wieder so schnell wie sie gekommen sind. Flüchtige, doch zerstörerische Wesen, die schon manches Auto von der Straße gehoben, manchen Menschen durch die Luft gewirbelt haben.

Wir fahren durch die Landschaft südlich von Teheran. Der Weg führt streng nach Süden. Etwas mehr als hundert Kilometer sind es bis nach Ghom, in die heilige Stadt der Schiiten, die der spirituelle Ausgangspunkt der islamischen Revolution in den Jahren 1978/79 gewesen ist. Der politische Brennpunkt hingegen war immer Teheran, die Hauptstadt. Auch heute wird die eigentliche Politik in Teheran gemacht, doch manche Strömung im politischen Leben des großen Landes, sofern sie mit der Religion zu tun hat, bereitet sich noch immer in Ghom vor. In Teheran haben wir einige Tage der Recherche zugebracht, deutsche Freunde und Diplomaten getroffen, doch nun wollen wir das fl ache Land bereisen, auf den Spuren des großen Pierre Loti, aber auch auf den Wegen der eigenen Erinnerung. Was hat sich seit dem letzten Aufenthalt verändert? Ist der revolutionäre Enthusiasmus endgültig verfl ogen oder konnte sich manches davon in die Epoche des neuen Pragmatismus und der so genannten Reformen hinüberretten? Als wir zuletzt hier waren, hatten sich der Irak und Iran in einem mörderischen Bruderkrieg ineinander verkrallt.

Als Pierre Loti, berühmter orientalisierender Autor und Mitglied der Academie Française, das Land der Rosen und der Nachtigallen bereiste, hatte noch keine islamische Revolution stattgefunden. Es herrschte die Dynastie der Qadscharen, das Land stand unter dem Einfl uss der Briten im Süden und der Russen im Norden. Der Schah als zentrale Instanz der Herrschaft war schwach, im Grunde ein Spielball der auswärtigen Mächte, die Iran dasselbe Schicksal angedeihen lassen wollten wie dem »kranken Mann am Bosporus«, dem sterbenden Osmanischen Reich. Dessen Freund war Loti, der Franzose, nun ganz und gar, und er wurde derjenige unter den europäischen Dichtern, der dem Imperium der Türken den Schwanengesang widmete.

Im Falle Irans war dies anders: Von Anfang an bereiste der Dichter eine noch vormoderne Welt, die längst nicht jene Veränderungen erlebt hatte, welche die osmanische Türkei immerhin schon im Jahrhundert davor durchzusetzen begann. Iran, um es rundheraus zu sagen, war eine bis zwei Generationen zurück, trotz der konstitutionellen Umwälzung, die das Land seit 1905 bis 1909 durchgemacht hatte. Am Ende hatten doch wieder die Qadscharen gesiegt, ihren Thron behalten und dem Lande allenfalls einen Fortschritt beschert, der im Tempo einer Schnecke dahergekrochen kam.

Mit einem Mal hält der Bus abrupt an. Unruhe und Nervosität breiten sich aus. »Ist kein Imam da?«, fragen zwei Männer.

Am Straßenrand liegt ein unbekannter Toter, ein alter Mann, ärmlich gekleidet. Wie er gestorben ist, weiß niemand, und niemand kennt ihn; doch ist es Muselmanen-Pfl icht, den Leichnam so bald wie möglich zu bestatten und die Totengebete über ihm zu sprechen. Einige Männer steigen aus, stellen sich in einer Reihe vor den Toten und rezitieren die Fatiha, die erste Sure des Korans, die so genannte Eröffnende. Dann wird der Tote weggebracht und irgendwo in der Nähe beerdigt. Die Männer besteigen wieder den Bus, wir fahren weiter. Volksfrömmigkeit. Mit der Ideologie der Islamischen Republik, so verstehe ich es, hat dies gar nichts zu tun. Das war schon immer so in Iran.