Im fernen Westen - Karl May's Gesammelte Werke Band 89

von: Karl May

Karl-May-Verlag, 2012

ISBN: 9783780215895 , 534 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Im fernen Westen - Karl May's Gesammelte Werke Band 89


 

2. Kapitel


 

„Uff“, rief mein Begleiter, „mein weißer Bruder hat Recht. Hier ist der rote Mann geritten. Lasst uns sehen, was er hier gewollt hat.“

„Winnetou, der große Häuptling“, erwiderte ich, „ist weise und hat das Auge des großen Geistes. Er sieht sehr wohl, was sein böser Bruder hier gewollt hat; aber er versucht mich auf die Probe zu stellen.“

Über das scharfgezeichnete Angesicht des Indianers glitt ein flüchtiges Lächeln, als er, noch immer auf die Spur gebückt, antwortete:

„Und was denkt der weiße Freund von dieser Fährte?“

„Der Mann, welcher hier geritten, hat seine Gefährten gesucht. Auf jedem Hügel hat er sein Pferd angehalten, um sich nach ihnen umzusehen, und wir müssen also vorsichtig sein, wenn wir nicht unsere Skalps verlieren wollen.“

Winnetou – denn dieser, von welchem ich Swallow erhalten hatte, war es – richtete sich empor und maß mich mit einem langen, verwunderten Blick.

„Mein bleicher Bruder kennt mich. Er hat mit mir den Lasso um die Hörner des Büffels geworfen und den Bär des Gebirges in der Höhle getötet; er hat an meiner Seite gestanden gegen die Übermacht der Arapahos und hat die Mandan im Blute zu meinen Füßen gesehen; er zählte die Skalps an den Wänden meines Wigwams und sieht die Locken meiner Feinde an meinem Gürtel hängen. Winnetou hat seinen Stamm verlassen, um die großen Hütten der Weißen zu sehen, ihre Feuerrosse und ihre Dampfkanus, von denen ihm der Freund erzählt hat; aber sein Haupt wird von keinem Messer berührt werden!“

„Der große Häuptling der Apatschen hat Recht“, nickte ich ihm zu und fuhr, auf die Spuren deutend, fort: „Aber hat er auch bemerkt, dass dieses Pferd hier müde gewesen ist?“

Statt aller Antwort folgte er, sein Tier am Lasso führend, der Fährte weiter und blieb endlich, auf den Boden zeigend, stehen.

„Hier hat er ausgeruht.“ Und mit gespannter Miene setzte er hinzu: „Wird mein Bruder sehen, auf welchem Pfad er sich befindet?“

Ich untersuchte den Boden sorgfältig. Das Pferd war angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Präriegrases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeils zerbrochen und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vorsicht der Indianer liegen gelassen. Ich hob sie auf, um sie zu betrachten. Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil gewesen.

„Er befindet sich auf dem Kriegspfad, aber er ist noch jung und unerfahren, denn sonst hätte er die verräterischen Stücke versteckt, und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Mannes.“

Winnetou gab durch einen beifälligen Laut seine Zufriedenheit kund. Bei unserer ersten Begegnung war er mir sozusagen Lehrer gewesen und hatte mich gewöhnt, auf die unscheinbarste Kleinigkeit zu achten, da dies bei den vielfältigen Gefahren der Prärie unumgänglich notwendig ist. Jetzt nun benutzte er jede Gelegenheit, um zu erfahren, ob seine Lehren von Erfolg gewesen seien.

Ein Blick auf die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zeigen, dass der Mann erst vor Kurzem den Platz wieder verlassen habe; denn die Kanten derselben waren noch scharf und die gestreiften oder zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben. Winnetou breitete seine Decke aus und streckte sich, nachdem er das Pferd gefesselt hatte, auf dieselbe nieder.

Ich folgte ihm und zog zwei Zigarren aus der Seitentasche meines Jagdhemds. Es waren die letzten von einigen Dutzend, welche ich vor mehreren Wochen in Venango mitgenommen hatte. Sie waren für eine besondere Gelegenheit stecken geblieben, da sich aber nichts dergleichen einzustellen schien, so konnten sie ebenso gut auch jetzt verraucht werden.

Mit sichtbarer Begierde griff der brave Indianer zu, als ich ihm die eine derselben hinreichte, und wer die Enthaltsamkeit kennt, die der Westen einem jeden auferlegt, der wird ahnen, mit welcher Wonne wir uns dem seltenen Genuss hingaben, ich, die blauen Ringeln mit innigem Behagen ausblasend, Winnetou aber, den Rauch nach Indianerweise erst hinunterschluckend und dann durch die Nase von sich gebend.

So verging eine geraume Zeit, während welcher kein Wort gewechselt wurde. Schweigsamkeit gehört selbst unter Gefährten zur Haupttugend und ich beabsichtigte keineswegs, mir durch unzeitige Sprachseligkeit die Freundschaft und Achtung meines Begleiters zu verscherzen.

Endlich, nachdem die Zigarren längst verraucht und der letzte Rest derselben dann hinter den Lippen des Indianers verschwunden war, erhob er sich und in kurzer Zeit ritten wir wieder, den Körper tief herabgebeugt und das forschende Auge am Boden, nebeneinander her.

Unsere Schatten wurden länger und länger, der Abend begann zu dunkeln und wir waren nun gezwungen abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten. Aber ehe ich vom Pferd stieg, griff ich zum Fernrohr, um die Ebene vorher noch einmal abzusuchen.

Wir hielten gerade auf einer der zahlreichen wellenförmigen Erhebungen, welche sich in jenem Teil der Prärie wie die Wogen eines erstarrten Meeres aneinanderlegen, und es war mir deshalb ein ziemlich freier Ausblick gestattet.

Kaum hatte ich das Glas am Auge, so fiel mir eine lange gerade Linie auf, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizonts bis zum entferntesten westlichen Punkt hinzog. Voll Freuden gab ich Winnetou das Rohr und zeigte ihm die Richtung an, in die er es zu führen hatte. Nachdem er einige Zeit hindurchgesehen, zog er es mit einem neugierigen „Uff“ wieder ab und blickte mich mit fragendem Ausdruck an.

„Weiß mein Bruder, was für ein Pfad das ist? Es ist nicht der Weg des Buffalo, auch hat ihn nicht der Fuß des roten Mannes ausgetreten.“

„Ich weiß es. Kein Büffel kann die Strecke laufen, welche dieser Pfad durchführt, und kein Indsman vermag ihn durch die Prärie zu ziehen. Es ist der Pfad des Feuerrosses, das mein Bruder heut noch sehen wird.“

Rasch hob er das Rohr wieder empor und betrachtete mit regem Interesse den durch die Linsen nahegerückten Schienenstrang. Plötzlich aber sah ich einen Zug der Überraschung über sein ausgewettertes Gesicht gehen und im nächsten Augenblick war er abgesessen und zog sein Pferd raschen Laufs hinunter in das Wellental.

Natürlich musste dieses Beginnen einen sehr triftigen Grund haben und ich ahmte deshalb sein Verhalten ohne Verzug nach.

„Da drüben am Pfad des Feuerrosses liegen die roten Männer“, rief er. „Sie stecken hinter dem Rücken der Erhebung, aber ich sah eines ihrer Pferde!“

Er hatte wohlgetan, unseren erhöhten Standpunkt sofort zu verlassen, da wir auf demselben leicht bemerkt werden konnten. Zwar war die Entfernung selbst für das scharfe Gesicht eines Indianers eine sehr bedeutende; aber ich hatte während meiner Streifereien mehrere Male in den Händen dieser Leute Fernrohre gesehen. Die Kultur schreitet eben unaufhaltsam vorwärts und indem sie den Wilden immer weiter zurückdrängt, bietet sie ihm doch die Mittel, sich bis zum letzten Mann gegen ihre Gewalt zu verteidigen.

„Was sagt mein Freund zu der Absicht dieser Leute?“, fragte ich.

Er schwieg. Augenscheinlich fiel es ihm schwer, sich ihr Verhalten zu erklären. Sie befanden sich auf dem Kriegspfad und hatten doch keine Wache ausgestellt. Sie mussten also wissen, dass in ziemlichem Umkreis kein Feind vorhanden sei, und da sie bei ihrer jedenfalls nicht bedeutenden Anzahl einen weiten Zug nicht vorhaben konnten, so wusste er mir keine Antwort zu geben. Mir hingegen schien ihr Vorhaben unschwer zu erraten und das Rohr aus seiner Hand nehmend, forderte ich ihn auf, mich hier zu erwarten, und schlich mich vorsichtig vorwärts.

Obgleich ich fast überzeugt sein konnte, dass sie von unserer Nähe keine Ahnung hatten, suchte ich so viel wie möglich Deckung zu behalten und gelangte dadurch so weit an sie heran, dass ich, am Boden liegend, sie zählen und beobachten konnte.

Es waren ihrer dreiundsechzig, sämtlich mit den Kriegsfarben bemalt und sowohl mit Pfeilen als auch mit Feuerwaffen bewehrt. Die Zahl der angepflockten Pferde war bedeutend höher und dieser Umstand bekräftigte meine Ansicht.

Da hörte ich einen leisen Atemzug hinter mir. Rasch das Messer ziehend, drehte ich mich um. Es war Winnetou, den es nicht bei den Pferden gelitten hatte.

„Uff!“, klang es von seinen Lippen. „Mein Bruder ist sehr kühn, so weit voranzugehen. Es sind Ogellallah, der kühnste Stamm der Sioux, und dort liegt Parranoh, der weiße Häuptling.“

Erstaunt sah ich ihn an.

„Der weiße Häuptling?“

„Hat mein Freund noch nichts gehört von Parranoh, dem grausamen Häuptling der Athabasken? Niemand weiß, wo er hergekommen, aber er ist ein gewaltiger Krieger und im Rat des Stammes unter die roten Männer aufgenommen worden. Als die grauen Häupter alle zu Manitou, dem großen Geist gegangen, hat er das Kalumet erhalten und viele Skalps gesammelt. Dann ist er aber von dem bösen Geist verblendet worden, hat seine Krieger für Niggers gehalten und fliehen müssen. Jetzt wohnt er im Rat der Ogellallah und wird...