Alle sind so ernst geworden

Alle sind so ernst geworden

von: Martin Suter, Benjamin von Stuckrad-Barre

Diogenes, 2020

ISBN: 9783257611809 , 272 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Alle sind so ernst geworden


 

STUCKRAD-BARRE:

Folgende Situation: Es ist August, Hochsommer an der Ostsee, und ich weiß, dass dieser Martin Suter im selben Hotel zu Gast ist. Dieser Martin Suter nervt mich ein bisschen, weil er wahnsinnig viele Bücher verkauft und das alles Bücher sind, die ich nicht verkaufe. Obendrein sind sie auch noch gut. Unverschämtheit! Und plötzlich steht er neben mir und sagt, er wolle sich einmal vorstellen – und ist ganz bezaubernd. Wir kommen rasch ins Gespräch, beide mit leichtem Kennenlernhandicap, weil wir nämlich beide nur Badehosen anhaben, was seltsam ist beim Einander-Kennenlernen. Das nahm mich aber sofort, neben vielem anderen, für dich ein, dass du nicht nur der bist, der diese fabelhaften Bücher schreibt, die sich auch noch so irre gut verkaufen, und Nähe also so oder so gewinnbringend sein könnte – aber Spaß beiseite, wie es im Radio oft heißt, wenn es zuvor überhaupt nicht lustig war. Es war einfach sehr unerwartet und wirklich schön, dass du dich mir so höf‌lich vorstelltest, und das in orangener Badehose. Seitdem mag ich dich auf eine solche Art gern, das glaubst du gar nicht. Wie aber kam es nun bitte zu dieser Badehose? Wenn man dich sonst so anschaut und Fotos von dir kennt, würde man erst mal nicht vermuten, dass du eine signalfarbene Badehose trägst. Überhaupt besitzt!

SUTER:

War die signalfarben?

STUCKRAD-BARRE:

O ja! Weithin sichtbar, neonorange. So was kann doch gar nicht von dir selbst gekauft worden sein. Die muss deine Frau gekauft haben.

SUTER:

Nein, nein, nein. Nein, das würde sie nie tun.

STUCKRAD-BARRE:

Nein?

SUTER:

Ich glaube, diese Badehose habe ich in Biarritz gekauft. Und zwar, weil wir uns in Biarritz mit Freunden trafen, und ich hatte vergessen, Badehosen einzupacken. Und ich wollte natürlich …

STUCKRAD-BARRE:

Schwarz.

SUTER:

… sowohl ins Meer wie auch …

STUCKRAD-BARRE:

Die Würde wahren. Schwierig.

SUTER:

… in den Pool. Und dort in dem Hotel gab es einen kleinen Laden mit Badehosen.

STUCKRAD-BARRE:

Das sind ja immer die unverschämtesten Läden, die in den Hotels. Da steht dann drauf: Bulgari oder so ein Unfug, und plötzlich wird es unübersichtlich teuer.

SUTER:

Und diese Badehose … Es gab schon auch andere.

STUCKRAD-BARRE:

Als Werbespruch wäre das wiederum herrlich: Man sähe dich in dieser orangenen Badehose – und darunter der Slogan »Es gab schon auch andere«.

SUTER:

Nur, bei Badehosen geht es ja nicht nur um die Farbe. Bei der Badehose geht es ja auch um den Sitz.

STUCKRAD-BARRE:

O ja. Bei allem eigentlich.

SUTER:

Bei allem, ja. Das heißt, die schwarzen oder auch die marineblauen oder so …

STUCKRAD-BARRE:

Zweireiher.

SUTER:

… die ein bisschen besser zu dem Eindruck, den du von mir haben willst, passen würden …

STUCKRAD-BARRE:

Das ist schön gesagt. Da kann ich jetzt bis übermorgen drüber nachdenken: zu dem Eindruck, den ich gerne haben will. Das ist sehr, sehr gut formuliert. Genau so war es nämlich.

SUTER:

… die waren entweder viel zu groß oder, was noch blöder ist bei Badehosen, zu eng. Und wenn man diese Waschbrettillusion einigermaßen aufrechterhalten will, darf es nicht einschneiden, oder? Sonst lappt das so.

STUCKRAD-BARRE:

Sonst liegen die Beweise zu deutlich vor.

SUTER:

Genau. Die hängen dann über dem Gummizug der Badehose. Deswegen habe ich mich entscheiden müssen zwischen der Farbe und dem Sitz. Und da habe ich mich für den Sitz entschieden.

STUCKRAD-BARRE:

Aber der Eindruck, den ich von dir haben wollte … Ich hänge noch dieser Formulierung nach. Beim zweiten Nachdenken will ich genau diesen Orangene-Badehose-Eindruck von dir haben, weil der so schön gegen den anderen arbeitet, gegen das andere Bild, das Klischee: Martin Suter, der soignierte Schweizer, ehemalige Werber, Weltbestseller, lebt in Dings und Bums – diese Stereotypen, die dann alle losprasseln. Und natürlich auch alle stimmen, das kommt ja noch hinzu. Da passt dann auch, dass du eine Menge Haargel verwendest. Ein nun doch außerliterarisches Kriterium, das aber in Porträts über dich – und sogar Buchbesprechungen – regelmäßig zur Anwendung kommt. Speziell in so Zeitschriften, Zeitungen, Medien, die ein doch tiefgründigeres Selbstbild haben, gerade dort ist, wenn es um dich geht, auf‌fallend ausgiebig die Rede von Äußerlichkeiten, immerzu. Ich finde das sehr oberflächlich – dass die dich oberflächlich finden.

SUTER:

Ja, das ist wahr, es wundert mich auch immer mehr. Je älter ich werde, desto seltsamer ist es, dass man über die Kleidung schreibt bei mir. Ich habe zwar mein ganzes Leben lang, mit einer kürzeren Hippie-Unterbrechung von ein paar Jahren vielleicht …

STUCKRAD-BARRE:

Bitte was? Wann war die denn?

SUTER:

Ende der sechziger Jahre war die erste, und dann so Mitte der siebziger die zweite.

STUCKRAD-BARRE:

Und abgesehen von diesen beiden Hippie-Unterbrechungen hast du immer Anzüge getragen?

SUTER:

Ja. Es gibt auch Kinderfotos von mir, Jugendfotos mit Krawatte auf dem Fahrrad. Ich habe auch als kleiner Junge Anzug getragen. Da kam eine Störschneiderin zu uns. Die hat in einer Mansarde kleine Anzüglein genäht für mich.

STUCKRAD-BARRE:

Wirklich?

SUTER:

Ja. Da gab es ein schönes Jackett und dann im gleichen Material für den Winter Knickerbockers.

STUCKRAD-BARRE:

Wie hat sich das denn ausgewirkt auf dein Image in der Schule?

SUTER:

Da war ich erst sieben. In der Zeit war es gerade so vorbei, dass man lange Hosen für Knaben als Besonderheit betrachtete. Ich habe auch Sommeranzüglein gehabt aus Baumwolle. Das sah aus wie ein himbeerfarbener Safarianzug mit kurzen Hosen. Die Eltern nannten es das »Epeerigwändli«, Erdbeergewändchen. Und auch Tweed-Anzüglein hatte ich. Ich habe immer gerne Anzüge getragen. Aber es gibt auch die, die im Alter diese Lumber tragen.

STUCKRAD-BARRE:

Die was?

SUTER:

Das sind so beige Sportjacken.

STUCKRAD-BARRE:

Aha. Oh. Modehospiz.

SUTER:

Oder auch diese Schuhe mit Klettverschlüssen. Und dann gibt es die anderen Männer, wie mich, die denken: Es lenkt vielleicht ein bisschen von meinem Aussehen ab, wenn ich einen hübschen Anzug und eine schöne Krawatte trage.

STUCKRAD-BARRE:

Genau, es ist eigentlich doch ein angenehmes Non-Statement. Der Anzug bedeutet: Ich bin so angezogen, dass wir nicht über Kleidung diskutieren müssen. Und dann wird genau das aber doch zu einem Statement erhoben. Ich habe zum Beispiel am Anfang meines Bücherveröffentlichens und Lesungenmachens und so immer Anzüge getragen, weil ich es so angenehm fand, dass dann alle Selbstgesprächsfragen diesbezüglich – was ziehe ich nur an und was könnte das bedeuten – beantwortet waren durch ebendiesen Anzug und ich mich auf andere Sachen konzentrieren konnte. Genau das aber wurde aufgefasst als Überheblichkeit und Oberflächlichkeit oder so was. Immer Anzug! Schnösel! Glaubt wohl, er wäre … und so weiter. Das hat mich dann immer eher amüsiert. Hm. Nein, Quatsch, Automatikkoketterie – es hat mich: verunsichert damals. Ich habe es schlicht nicht begriffen: Dass gerade solche Kritikeinrichtungen, die doch scheinbar – vorgeblich! – Texte verhandeln, dass gerade die also schafsblöd einen der Oberflächlichkeit zeihen – indem sie genau das tun: oberflächlich sein! Einem Anzug auf den Leim gehen. Eine Frisur rezensieren: dein legendäres Haargel, die Maßanzüge. Strafverschärfend darunterliegend sowieso immer: war teuer, und dann auch noch in Schweizer Franken!

SUTER:

Meine Damen und Herren, übrigens, das sehen Sie nicht: Benjamin von Stuckrad-Barre sitzt hier in einem Anzug.

STUCKRAD-BARRE:

Ja, natürlich. Und zwar, weil ich Martin Suter besuche.

SUTER:

Aha.

STUCKRAD-BARRE:

Na, das ist Anpassung an die Umgebung. Ich trage sonst immer weiße Jeans und in irgendeiner Form etwas Blau-Weiß-Gestreif‌tes als Oberteil. Aber da ich ja heute früh wusste, dass wir beide später hier zusammensitzen werden, fand ich es angenehmer, wenn das alles überhaupt gar kein Thema ist und wir beide im weitesten Sinne dunkle Anzüge tragen. Dass das für uns beide dann angenehmer ist, dachte ich. Und sang beim...