Das große Buch der Markttechnik - Auf der Suche nach der Qualität im Trading

von: Michael Voigt

FinanzBuch Verlag, 2006

ISBN: 9783862482221 , 662 Seiten

13. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 34,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das große Buch der Markttechnik - Auf der Suche nach der Qualität im Trading


 

1. Kapitel
Das Konto PB1212


enthält ein zehn Zentimeter dickes Buch; eine morgendliche Einweisung; ein Konto PB1212; einen Hinweis vom Chef des Handelsbüros an Philip und eine E-Mail an Philips Vater.

Hofner klickte die Maus-Taste. Der Computer begann, den Chart des Bund-Futures zu laden. Wie jeden Morgen saß der erfahrene Trader an seinem großen Schreibtisch, umgeben von Monitoren und zwei Laptops. Während das Handelsprogramm den Befehl bearbeitete, holte Hofner sein Tradingtagebuch aus der Schublade.

Im Laufe der vielen Jahre als Trader war das ursprünglich schmale Heft ein Tagebuch von beachtlichem Umfang geworden. Zurzeit schrieb er an einem längeren Kapitel: Seit Wochen stellte er Lösungsvorschläge für einige Tradingprobleme zusammen.

Gedankenverloren blickte Hofner auf und schaute aus dem Fenster. Die durchgehende gläserne Fensterfront nahm die gesamte Längsseite des Raums ein. Das Handelsbüro der Firma E.T.S.I. Invest Ltd. lag im ersten Stock einer großen alten Stadtvilla. Endlich Frühling, Anfang Mai; die Birken in einigen Gärten zeigten bereits einen zarten grünen Schleier.

Die große Bürouhr zeigte zehn nach sieben. Seit fast einer Stunde hatte er bereits allein und ungestört gearbeitet. Hofner begann, schnell und konzentriert zu schreiben. Er wusste, wie selten gerade in den letzten Wochen die Augenblicke gewesen waren, in denen er im Tradingbüro Ruhe gefunden hatte, um kreativ zu arbeiten.

Hofner schaute kurz auf den Chartverlauf des Bund-Futures vom Freitag. Es war ein toller Handelstag gewesen. Der Markt hatte über den gesamten Handelsverlauf eine hohe Dynamik gezeigt. Es war zu vielen Trades gekommen. Vier Trades wurden mit leichtem Minus ausgestoppt. Zwei Trades liefen gut und brachten ein kleines Plus. Der letzte Trade hingegen konnte einen großen Teil des am Nachmittag auf Tick-Basis entstandenen Trends mitnehmen. Dieser Trade glich die Minustrades in diesem Markt aus und es blieb ein passables Handelsergebnis übrig.

Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete gleichmäßig und tief. Er versuchte, für einen kurzen Moment mit seinem Umfeld eins zu werden. Aber es blieb eine leise und nagende Unruhe.

»Schwierig«, murmelte er vor sich hin. Nur – warum? Er öffnete die Augen und sah in den hellen großen Raum, wobei er die Brauen runzelte und die Lippen kurz zusammenkniff.

Da war dieser Praktikant, Philip, den ihm sein Chef vor einigen Wochen zur Betreuung übergeben hatte. Den Tag, an dem der junge Mann in dem Büro aufgekreuzt war, würde er so schnell nicht vergessen. Vor drei Monaten war das gewesen …

*

Herzer, der Chef, hatte Philip die Räume gezeigt und ihn den sechs Tradern vorgestellt. Mit großen Schritten war Philip quer durch den Handelsraum gestapft und hatte jedem Mitarbeiter die Hand geschüttelt.

»Sie haben also Interesse, ein hauptberuflicher privater Händler zu werden?«, fragte ihn Hofner.

Philip hatte zögernd den Kopf geschüttelt: »Ich? Vollzeit? Eher nicht. – Ich weiß noch nicht so recht. Ich will erst mal ein bisschen Geld machen. Danach sehen wir weiter.«

Hofner räumte einen der Ablagetische frei, den Philip als Schreibtisch benutzen konnte. Während Philip sich häuslich einrichtete, erklärte er Hofner, er wolle das Trading von der rein praktischen Warte heraus erlernen.

»… also, ich sag mal, ich weiß ja nicht, ob ich an das Zeug der Technischen Analyse, der Markttechnik und so weiter überhaupt glaube. Ich bin eigentlich ziemlich, na ja, skeptisch von wegen Magie und so. Ich meine, nicht dass ich Ihre Arbeit für Magie halte, das nun gerade nicht. Aber ich würde doch gern alles von der praktischen Seite sehen und offen darüber reden.«

Hofner war sich zwar nicht sicher, was Magie im Zusammenhang mit der Technischen Analyse bedeutete, doch eines wusste er mit einem innerlichen Vergnügen genau: Mit diesem jungen Mann würde es vorläufig erst einmal mit der Ruhe im Büro vorbei sein. Seine Beobachtungen während der folgenden Stunden bestätigten seinen Eindruck. Unablässig stellte Philip die Fragen: »Wo steht der DAX? Wo stehen meine Aktienkurse? Wo steht der DAX?«

Vom ersten Tag an notierte Philip alles, was Hofner sagte, und hörte bei allen Telefonaten aufmerksam und gespannt zu. Hofner sah sich die ersten Tage sogar genötigt, bei einigen Besprechungen auf den Gebrauch von E-Mail auszuweichen. Aber trotz dieser ständigen Belagerung mochte Hofner Philip auf Anhieb. Er war unkompliziert und aufgeschlossen. Seine Neugier war eine gute Voraussetzung dafür, dass er hier wirklich etwas lernte. Das war für Hofner vorerst völlig ausreichend. Und Hofner freute sich, dass er seit langem einmal wieder mit einem Praktikanten an der Seite arbeitete. So wurde er einmal wieder an seine eigenen Anfänge erinnert.

Schon bald war Philips Handelsplatz, der ihm inzwischen eingerichtet worden war, mit sämtlichen Börsenzeitschriften zugemüllt. Philip selbst telefonierte die meiste Zeit mit seinen Freunden und philosophierte über sämtliche Zeitungsartikel. Ständig leitete er mit seinen Freunden den Marktverlauf anhand irgendwelcher Ereignisse her. Hofner und seine Kollegen ließen ihn gewähren.

In den ersten Tagen begleitete Philip oft die Trades von Hofner. Jedoch liefen die Diskussionen um die Trades oftmals ins Leere, denn Philips Gedankengänge waren zu einfach, und ihm fehlte noch das Sachverständnis. Völlig normal, denn Hofner konnte ihm momentan noch nicht das Warum, Wieso und Wie für die Trades erläutern. Philip wusste, dass man mit Long auf steigende Kurse und mit Short auf fallende Kurse setzte. Er wusste, was Aktien waren und dass der DAX-Future an der Eurex gehandelt wurde. Nun ja – das war aber vorerst schon alles. Für Philip war der Börsenhandel bisher wie »Wetten auf einer riesigen Pferderennbahn« gewesen: hopp oder topp. Mal auf dieses Pferd setzen, mal auf jenes. Philip sah die Börse als riesige Lotto-Bude. Und da bekanntlich beim Lotto kein Fachwissen erforderlich ist, ging Philip in manchen Momenten davon aus, dass er genauso viel Wissen hatte wie jeder Händler in diesem Büro. Eigentlich wusste er ja, dass das Quatsch war. Aber Philip hatte doch jede Börsenzeitung, jeden Newsletter und sämtliche Musterdepots abonniert im Gegensatz zu den Händlern. Und so dachte er oft, dass er besser rund um den Marktverlauf informiert war als jeder andere im Büro.

Aber im Großen und Ganzen war Philip ein aufgeschlossener und angenehmer Zeitgenosse – und er hatte sich schnell den Gepflogenheiten im Büro angepasst.

*

Eine Wolke hatte sich vor die milde Mai-Sonne geschoben. Hofner tauchte aus seinen Gedanken auf und konzentrierte sich wieder auf das Tradingtagebuch. Er war stolz auf diesen Besitz: ein umfangreiches Notizbuch, bestimmt zehn Zentimeter dick. Überwiegend hatte er es mit der Hand geschrieben und mit unzähligen eingeklebten Chartverläufen und Hinweisen versehen – inzwischen war es zerfleddert und voller Eselsohren. Auf Hunderten von Seiten enthüllte es seine Erfahrungen und Erkenntnisse als Trader. Und da es jeden Tag neue Trades gab, kam ein Trader im Laufe seines Lebens niemals bei der letzten Seite seines Tradingtagebuchs an. Hofner vertiefte sich wieder in seine Aufzeichnungen.

Mittlerweile war es 7.35 Uhr geworden. Die ersten Schlagzeilen kamen auf dem Nachrichtenticker herein. Noch war es ruhig im Büro, das Summen der eingeschalteten Rechner das einzige Geräusch.

Das änderte sich schlagartig, als Laura den Raum betrat. Sie rief Hofner ein fröhliches Hallo zu und setzte sich an ihren Schreibtisch. Leise vor sich hinsummend begann sie sogleich, sich um die administrativen Aufgaben für den heutigen Arbeitstag zu kümmern.

Kurz darauf traf Sander ein – irgendwie sah er blass aus heute morgen. Wahrscheinlich hatte er wieder zu lange am Schreibtisch gesessen und sein Fitnessprogramm vernachlässigt. Er begrüßte die anderen mit einem kurzen Nicken und begab sich an seinen Arbeitsplatz. Eingehend studierte er die Papiere, die er dort hatte liegen lassen, und ließ nebenbei die Rechner hochfahren. Seine Lesebrille, die er an einer Kette trug wie die Damen im Bridge-Club, balancierte auf dem scharfen Nasenrücken.

Wenige Minuten später kamen auch die anderen Händler. Die Mannschaft war damit fast vollständig. Als letzte kam Claudia, die Assistentin des Handelsbüros, ins Büro geschlendert.

08.00 Uhr: Der Bund-Future eröffnete nahe dem Schlusskurs vom Freitag. Hofner und Sander betrachteten den Markt auf dem Tick-Chart. Es versprach eine volatile Handelswoche zu werden. Vorige Woche hatte der Bund-Future den langfristigen Aufwärtstrend auf Tagesbasis gebrochen. Daher würde es sicherlich zu genügend Short-Signalen in den kleinen Zeiteinheiten kommen.

Hofner schaute auf die Uhr und gab den anderen Händlern ein Zeichen, ihre Unterlagen zusammenzustellen. In wenigen Augenblicken sollte im Konferenzraum das Morgenmeeting beginnen. Fast jeden Tag fand dieses Treffen statt, bei dem kurz und knapp die gehandelten Märkte besprochen wurden. Dazu stand immer auch ein Beamer bereit. Da alle Händler über das gleiche Fachwissen verfügten, wurden die Charts nüchtern analysiert, für phantasiereiche Ausführungen war hier keiner zu haben. Auch die anstehenden administrativen Aufgaben kamen bei den Meetings zur Sprache.

Heute zu Wochenbeginn waren wie jeden Montag die Mitarbeiter eines benachbarten...