Inside Türkis - Die neuen Netzwerke der Macht

Inside Türkis - Die neuen Netzwerke der Macht

von: Klaus Knittelfelder

edition a, 2020

ISBN: 9783990014059 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 15,99 EUR

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Inside Türkis - Die neuen Netzwerke der Macht


 

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PARTIE STATT PARTEI:
DER KURZ-ZIRKEL


EINLEITUNG


DIE NACHT, IN DER DAS SYSTEM KURZ ENTSTAND


Wer in der Wiener Innenstadt exquisite oder einigermaßen spektakuläre Lokale sucht und im »Vino« landet, muss irgendwo falsch abgebogen sein. Die Tische der »Weinbar« sind aus dunklem Holz, Sessel und Bänke sind teils mit rotem Kunstleder überzogen, viele haben bereits tiefe Schrammen. Aus den Lautsprechern tönt Radio-Pop von Christina Aguilera bis Ricky Martin und die meisten Lampen sind in jenem irgendwann wieder modern gewordenen Retrostil gehalten, der wohl an die Beleuchtungen von Billardtischen erinnern soll. Es ist nicht gerade hell im Vino, aber die Billardlampen spenden genug Licht, um von einem Barplatz aus die Etiketten der Schnapsflaschen entziffern oder aus einer der herumliegenden Tageszeitungen lesen zu können. Auf den Tischen stehen Teelichter in grünen Ikea-Gläsern, meistens sind sie ausgebrannt. Ins Auge springen mit Ausnahme der Popcornmaschine hinter der Bar allenfalls noch Polster mit dem Logo der Wodkamarke »Martini«. Der Schinkenkäsetoast im Vino kostet 4,20 Euro, das kleine Bier 2,90 Euro, es gibt Prosecco aus der Schank und für besonders gut Aufgelegte auch Champagner der Marke Roederer in Dreiliterflaschen um 370 Euro geradeaus. Wer am Fenster oder im von Arkaden überdachten Gastgarten des Vino sitzt, hat einen guten Blick auf das Wiener Rathaus, den Rathausplatz und den dazugehörigen Park. Im Hintergrund ist das Burgtheater zu erahnen.

Das einzig Besondere am Vino ist, wenn überhaupt, seine Stammkundschaft. Weil das Lokal nämlich exakt zwischen Rathaus und der Bundesparteizentrale der Österreichischen Volkspartei liegt, bevölkern es mit Vorliebe Politiker und ihre Mitarbeiter. Freiheitliche halten sich dort, im Lokal des ihnen nicht gerade feindlich gesinnten Promi-Wirten Heinz Pollischansky, ganz gerne auf, das weiß seit dem Herbst 2019 die halbe Republik: Denn Heinz-Christian Strache hielt im Vino jene Pressekonferenz ab, in der er kurz vor der Nationalratswahl 2019 verkündete, dass er sich jetzt aber wirklich und endgültig aus der Politik zurückziehen würde, um weiteren Schaden von seinen Freiheitlichen abzuwenden.

Vor allem aber ist das Vino ein beliebter ÖVP-Treffpunkt. Das Lokal wurde einst von der ÖVP ins Leben gerufen, sie ist auch der Hauptmieter des Gebäudes. Es ist nicht lange her, da konnte man aus der alten Parteizentrale der Wiener ÖVP direkt ins Vino – das damals noch »Wieno« hieß – wechseln, die Schwarzen hatten auch einen Schlüssel für das Lokal. Das Vino war also seit jeher Stammbeisl und verlängertes Wohnzimmer der Österreichischen Volkspartei.

So war das auch schon im Jahr 2011, genauer gesagt, am frühen Abend des 18. April 2011. Allein, die Stimmung war an diesem Abend ziemlich getrübt. Der Grund: Wenige Tage zuvor war der letzte große Hoffnungsträger der ÖVP, Josef Pröll, überraschend zurückgetreten. Die Partei stürzte in Umfragen auf einen historischen Tiefstand von 22 Prozent ab – Tendenz fallend. Damit lag sie weit hinter der Kanzlerpartei SPÖ und sogar hinter den Freiheitlichen. Der ÖVP hingen zu allem Übel auch noch Korruptionsaffären wie jene um Ex-Innenminister Ernst Strasser nach. »Der Tenor in der Bevölkerung war«, erinnert sich der damals zum Parteichef aufgestiegene Michael Spindelegger, »dass die ÖVP eine korrupte Partei ist«. Mehr noch: »Selbst meinen Kindern in der Schule wurde damals gesagt, dass ihr Vater ja auch einer von den Korrupten ist.« Und in die Offensive vermochte die ÖVP angesichts der ungeliebten Rolle als Juniorpartner in der Großen Koalition auch mit dem Obmannwechsel von Pröll auf den bisherigen Außenminister Spindelegger nicht zu kommen. Spindelegger: »Es war eine dramatische Situation, so etwas habe ich vorher und nachher in der ÖVP nicht erlebt.«

So war sie also, die politische Lage, an diesem Abend des 18. April, als unter anderem Stefan Steiner, Philipp Maderthaner und Fritz Kaltenegger im Vino eingekehrt waren. Alle drei hatten wichtige Rollen in der Pröll-ÖVP. Steiner war »politischer Direktor« der Bundespartei, will heißen: Der damals gerade einmal 32-Jährige entwickelte Inhalte und Strategien für die Partei. Der um einige Jahre jüngere Maderthaner war (noch) PR- und Marketing-Chef der Volkspartei, Kaltenegger verbrachte unterdessen seine letzten Stunden als Generalsekretär der ÖVP. Tagsüber war das neue Regierungsteam der ÖVP zusammengezimmert worden, gleich mehrere ÖVP-Politiker mussten ihre Ressorts abgeben. Kaltenegger hatte im Vorfeld schon erklärt, dass er nicht mehr General sein werde, an seiner statt war der Tiroler Hannes Rauch vorgesehen. Maderthaner bereitete sich gedanklich bereits auf seinen Abschied in der ÖVP vor, Steiner und andere wussten indes nicht so recht, auf welches Team der neue Chef in seiner Parteizentrale setzen würde und in welcher Rolle man da selbst überhaupt noch dazugehören dürfe. In dieser Transferstimmung geisterten auch schon einige Namen möglicher Regierungsmitglieder gerüchteweise durch das Vino – neben dem des Innsbrucker Unirektors Karlheinz Töchterle und der niederösterreichischen Landesrätin Johanna Mikl-Leitner unter anderem jener des Chefs der Jungen ÖVP, Sebastian Kurz. Bei dem war man allerdings skeptisch. Was sollte denn ein 24-jähriger Student in einer Bundesregierung?

Außerhalb des Vino war dieser vor allem bekannt, weil er ein Jahr zuvor im Gemeinderatswahlkampf mit seiner »Geilomobil«-Kampagne für Aufregung gesorgt hatte: Flankiert von leicht bekleideten Damen und begleitet von einem Sturm der Entrüstung verteilte Kurz – mit einem gemieteten Protz-Geländewagen der Marke Hummer – Kondome mit der Aufschrift »Schwarz macht geil«. Das dabei entstandene Bild vor dem prolligen Innenstadtlokal »Moulin Rouge« sollte Kurz – zu seinem Ärger – lange verfolgen. In seiner letzten Gemeinderatssitzung vor diesem 18. April hatte Kurz noch schnell gefordert, dass auch Jungpolitiker Orden der Republik verliehen bekommen sollten. Dass politische Jungspunde keine Ehrenzeichen umgehängt bekommen, empfand Kurz damals als gemeine »Altersdiskriminierung«. Dafür wurde er in Gemeinderat und Medien aufgezogen, selbst Wiens damaliger Bürgermeister Michael Häupl nannte die Aktion einen »Aprilscherz«.

Ausgerechnet über diesen kessen Jungpolitiker kursierte zu diesem Zeitpunkt ein brisanter Link: Die Onlineausgabe der Kleinen Zeitung (Jahre später erzählte man sich, es sei ein Artikel des Standard gewesen, das ist allerdings eine falsche Überlieferung) meldete am späten Abend nämlich bereits, dass das neue Regierungsteam der ÖVP längst feststehe – und dass dieser Sebastian Kurz tatsächlich Staatssekretär für Integration werden soll.

Knapp 800 Schritte vom Vino entfernt erfuhr auch Sebastian Kurz von dieser Nachricht, und zwar aus erster Hand. Knapp zuvor hatte sein Handy geläutet, der neue Parteichef war dran: »Hallo Sebastian, wo bist?« Der baffe Kurz war gerade bei einer JVP-Veranstaltung. »Komm bitte zu mir ins Büro.« Dort erklärte ihm Spindelegger, dass er vorhabe, ihn zum Staatssekretär zu machen – und zwar für Integration. Das Ansinnen des damaligen ÖVP-Chefs: »Ich hatte die Idee, dass ich jemanden für das Thema Integration und Migration brauche. Erst dann kam die zweite Frage, nämlich: Wer macht das?« Und da kam Spindelegger auf seinen ehemaligen Mitarbeiter in der Zeit als Nationalratspräsident. Spindelegger wollte jemanden, »der das Thema Integration unter anderen Gesichtspunkten sieht«, also entschied er sich für das schwarze Greenhorn Kurz.

Der neue Parteichef Spindelegger nutzte die kursierende Schlagzeile auch gleich zur Überzeugung, als Kurz am Abend in seinem Büro im Außenministerium saß. Kurz galt damals zwar schon als ehrgeizig und zielstrebig – nicht wenige meinen, er hätte die Sache mit dem Staatssekretär selbst ins Rollen gebracht – das hieß aber noch lange nicht, dass er Spindelegger auch sofort zusagen würde. Tatsächlich zauderte der Jungpolitiker ziemlich, als die Sache plötzlich ernst wurde. »Erst wurde er blass und sagte, dass er das nicht machen kann«, sagt Spindelegger. Auch Kurz denkt zurück: »Ich war fix und fertig, weil ich der Meinung war, mit 24 Jahren kann man nicht Staatssekretär werden, ich hatte ja auch mein Studium noch nicht fertig.«

Mit dem Artikel der Kleinen Zeitung aber konnte Spindelegger Kurz erklären, dass es für ihn nun ohnehin kaum mehr einen Weg zurück gab – jetzt, da sein Karrieresprung sogar schon in den Medien stand. Wie sähe das denn aus, wenn man jetzt noch zurückzöge? »Überleg’ es dir, wir haben nicht viel Zeit«, sagte Spindelegger – rief dann allerdings trotz ausstehender Antwort die schwarzen Landeshauptleute an und verkündete seine Neuzugänge im Regierungsteam, auch Kurz gab er durch.

Der immer noch hadernde Kurz zog sich zum Telefonieren in ein badezimmerähnliches Kammerl neben Spindeleggers Büro zurück. Weil sein Akku an diesem Tag streikte, musste er sich ein Handy im Außenamt ausborgen. Gernot Blümel, damals Referent in Spindeleggers Kabinett, half Kurz, indem er zumindest dessen Vertraute vorwarnte, dass sich Kurz gleich mit einer unbekannten Nummer und schier unglaublichen Neuigkeiten bei ihnen melden würde.

Einer der ersten, die Kurz vom Außenamt-Kammerl aus anrief, war Axel Melchior. Der damals schon engste Kurz-Vertraute saß bei sich zuhause in Baden und bereitete sich...