Grundlagen der Polizeipsychologie

von: Frank Stein (Hrsg.)

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2003

ISBN: 9783840917264 , 297 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 21,99 EUR

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Grundlagen der Polizeipsychologie


 

Das Problem der Eskalation von Protestverläufen (S. 79)

von Hans Peter Schmalzl

1 Die Begriffe „Protest" und „Eskalation" und die unausweichliche Rolle der Polizei im Protestgeschehen

Schwierige Begriffe, die schon im Titel eines Aufsatzes auftauchen, sollte man rasch definieren oder erläutern. „Demonstration" zählt eher nicht dazu. Darunter werden im polizeilichen Kontext Versammlungen und Aufzüge verstanden, für die es in der entsprechenden Polizeidienstvorschrift (PDV 100) ausgearbeitete Kriterien, taktische Ziele, Einsatzgrundsätze, Maßnahmenkataloge usw. gibt.

Vielschichtiger und damit weniger eindeutig verhält es sich mit dem Begriff „Protest". Zunächst ist Protest nichts anderes als ein Aufbegehren gegen empfundene Missverhältnisse, Missstände oder Ungerechtigkeiten. Dieses Aufbegehren kann sehr persönlich sein und sich gegen einzelne Sachverhalte oder Personen richten, in einigen Fällen kann es in Streit oder Gewalttätigkeit eskalieren und so die Polizei auf den Plan rufen. Regelmäßig wird Protest allerdings polizeilich relevant, wenn er kollektiv vorgetragen in der Öffentlichkeit stattfindet.

Dabei ist das Spektrum möglicher Protestformen unendlich, während Demonstrationen als eng definierte Teilmenge der denkbaren Protestaktionen im öffentlichen Raum zu verstehen sind. Demonstrationen sind standardisierter und ritualisierter Kollektivprotest. Demonstrationen, aber mehr noch die weniger reglementierten Formen des Protests stellen zwangsläufig eine Herausforderung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar.

Wieso zwangsläufig? Es ist der politische und konflikthafte Charakter, der den Unterschied macht zu andersgearteten öffentlichen Veranstaltungen, seien es nun religiöse Prozessionen, kulturelle Events wie Open-Air-Konzerte oder Festivitäten vom lokalen Volksfest bis zu nationalen Siegesfeiern. In allen diesen Fällen kommen Menschen ähnlicher Gesinnung und Stimmungslage zusammen, um gemeinsam etwas zu begehen oder gemeinsam an etwas teilzuhaben. Selbst eine schier unüberschaubare Teilnehmermenge lässt solche Ereignisse meist ohne viel polizeiliches Zutun gut ausgehen.

Erst ein Konflikt, der öffentlich in Szene gesetzt wird, birgt in sich das Potential zur Sicherheitsstörung. Das ist schon bei den unpolitischen, aber dennoch konfliktgeneigten Sportveranstaltungen spürbar, wenn Aggressionen zwischen rivalisierenden Fangruppen aufbrechen, und wächst sich dort zu einem Problem aus, wo Konflikte brisante gesellschaftspolitische Themen anschlagen; denn dann beziehen sie jeden mit ein, auch die Polizei, und fordern zur Auseinandersetzung auf. Die Polizei gerät bei diesen Auseinandersetzungen in die Rolle des unmittelbaren Gegenübers, obwohl sie meist nur als Kontrollinstanz auftritt wie z. B. bei einer Konfrontation zwischen rechts und links oder allenfalls stellvertretend für Staat und Politik den Adressaten abgeben muss wie z. B. bei Protesten gegen die ökonomische Globalisierung und deren Folgen.

Dennoch entzündet sich der politische Konfliktstoff immer wieder am polizeilichen Handeln; denn die demonstrierenden Bürger inszenieren ihren Protest nicht einfach vor der Polizei, während andere gemeint sind, sondern sie inszenieren ihn mit ihr in Interaktionen unterschiedlicher Art, von der organisationstechnischen Kooperation bis zur gewalttätigen Konfrontation.

Dabei kann die Bürger-Polizei-Begegnung im öffentlichen Protest Eigendynamiken jenseits des eigentlichen Ziels einer Demonstration und jenseits des eigentlichen polizeilichen Schutzauftrags entwickeln. Nicht die einzig mögliche aber die gefährlichste Interaktionsdynamik wird mit dem Begriff der Eskalation umschrieben, also der Konflikt-Intensivierung durch „wechselseitig sich verschärfende Aktionen und Reaktionen" (Brockhaus Enzyklopädie, 1988, S. 581).