Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam.

von: Karl Albrecht Schachtschneider

Duncker & Humblot GmbH, 2011

ISBN: 9783428536450 , 140 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 24,90 EUR

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Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam.


 

V. Freiheitliche Rechtlichkeit, Vorrang des Staatlichen und Religionstoleranz (S. 31-32)

1. Die fundamentale Frage ist, inwieweit man entgegen den Gesetzen der Freiheit äußerlich religiös leben, also Religion ausüben kann und darf, obwohl die innere Freiheit auf die Verwirklichung des Rechtsprinzips ausgerichtet ist. Man soll in allen Lebensbereichen in einerWeise leben, die es möglich macht und möglich sein läßt, daß alle miteinander in Frieden leben können, sei es in derWirtschaft, sei es in den Schulen, sei es sonstwo.

Der Imperativ des honeste vive, sei ein ehrbarer Mann, heißt: Lebe nach dem Prinzip des Rechts. Alles Handeln muß demgemäß von der Maxime der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens bestimmt sein, also sich davon bestimmen lassen, ob das Prinzip des Handelns tauglich ist, als allgemeines Gesetz zu gelten, d. h. universalisierbar ist. Sonst entspricht das Handeln nicht dem Sittengesetz76. Es gibt aber, wie gesagt, keine Freiheit entgegen dem Sittengesetz. Rechte zur Vorteilsnahme sind Privilegien, nicht Freiheit.

Eine derart materiale Freiheitsdoktrin wäre liberalistisch (und würde logisch Herrschaft voraussetzen), nicht aber republikanisch. Siewäre nicht die notwendig formale Lehre der Freiheit vonBürgern. Dieser politischen Freiheit des Bürgers, die der Logik der zwingend demokratisch verfaßten Republik77 folgt, widerspricht die Dogmatik der Religionsfreiheit des Bundesverfassungsgerichts; denn ein Recht, zu leben und zu handeln, wie es die Religion gebietet, ist mit dem Sittengesetz, dem Rechtsprinzip also als dem Gesetz der inneren Freiheit in der Republik, in der Volk und Staat eine Einheit sind (Der Staat, das sind wir.

Wir sind das Volk) unvereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat nie zu dem dem Grundgesetz gemäßen Freiheitsbegriff gefunden, vor allem weil es den Staat als Herrschaftssystem mißversteht (BVerfGE 2, 1 (12 f.); 83, 37 (52); 83, 60 (72); 95, 1 (15); Lissabon-Urteil vom 30. 6. 2009, BVerfGE 123, 267 (341, 343, 344, 349, 350, 356, 364, 366, 369 u. ö.)78. Die republikanische Freiheitslehre schließt es jedoch nicht aus, daß Menschen in einem von den allgemeinen Gesetzen der Privatheit überlassenen Bereich79 ihre Religion ausüben dürfen, insoweit sie andere nicht in ihrer Freiheit verletzen.

Das Prinzip der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens läßt nur einen schmalen Bereich von Privatheit, in dem nach Maximen gelebt werden kann, die nicht als Gesetze verallgemeinerungsfähig sind, wie weitgehend die religiösen Gebote und Verbote. Keinesfalls darf Freiheit mit Privatheit identifiziert werden. Ein freiheitliches Gemeinwesen läßt größtmögliche Privatheit (Privatheitsprinzip)80, aber nicht mehr, als das Gemeinwohl verträgt, das Gemeinwohl, das durch Gesetze materialisiert wird. Das Gesetz bestimmt, wieviel Zumutungendem Einzelnen abverlangt werden, auch Zumutungen religiösen Handelns anderer Menschen.

So ist die Privatheit in allen Lebensbereichen zu dogmatisieren. Beispielsweise ist der wirtschaftlicheWettbewerb für viele, wenn nicht die meisten Unternehmen, eine Zumutung; denn sie müssen sich gegen die Wettbewerber am Markt behaupten. Um der Effizienz willen veranstaltet der Staat, genauer die Europäische Union, mittels der Wettbewerbspolitik den Wettbewerb, ja erzwingt ihn geradezu (im übrigen ohne jede rechtsstaatsgemäße Begrifflichkeit)81. Die Unternehmer müssen sich eine Beeinträchtigung ihrer Unternehmungen durch andere Unternehmer um dieser Politik willen gefallen lassen, oft bis zur Insolvenz.