Lassiter 2305 - Bloody Mary

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732536276 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2305 - Bloody Mary


 

»Trump treibt so manches, was mir nicht in den Kopf will«, antwortete Billy und spuckte seinen Kautabak aus. Daran erinnerte er sich später genau: an seine Antwort und wie das braune Zeug gegen einen Torpfosten klatschte.

Auch daran, dass Colonel Trump an der Spitze der dritten Schwadron sich plötzlich umdrehte, erinnerte er sich bis zum Schluss. Und wie der Colonel die Männer mit ein paar Gesten nach rechts und links zu den Häusern und Stallungen schickte.

Und wie Trump selbst weiterritt und seinem Pferd sogar noch die Sporen gab.

Die Captains machten es wie der Colonel und hielten sich dicht an seiner Seite. Lieutenant Kirkpatrick und Sergeant Gull schlossen zu ihnen auf, statt an der Spitze ihrer Männer die Häuser nach Partisanen zu durchkämmen.

Billy kam nicht mehr dazu, irgendwelche Schlüsse aus dem Verhalten der Offiziere zu ziehen, denn plötzlich sah er Mündungsfeuer an mindestens fünf Fenstern gleichzeitig. Von allen Seiten heulten plötzlich Gewehrkugeln heran, auch von hinten. Die Luft dröhnte vom Schusslärm, und reihenweise kippten die Männer aus den Sätteln.

»Ein Hinterhalt!«, schrie Dave.

Billy zögerte nur einen Wimpernschlag lang: Als er merkte, dass Reiter den Rücken seiner Nachhut angriffen, wies er sofort auf die Koppel links der Mainstreet. »Rückzug!«

Kugeln pfiffen und heulten ihm dicht an der Hutkrempe vorbei, ein Wagen und ein paar Stapel Bauholz auf der Koppel verhießen etwas Deckung, und der Wald begann nur hundert Fuß hinter dem Außenzaun. Billy duckte sich tief über den Rücken seines Apfelschimmels und zischte ihm ins Ohr. Der Hengst sprang über den Koppelzaun.

Nicht allen gelang der Sprung – hinter sich hörte Billy, wie sich das Splittern berstenden Holzes in den Schusslärm mischte. Körper schlugen dumpf auf dem Boden auf, Männer schrien, Pferde wieherten in Panik, irgendwo brüllte jemand Befehle. Etwas Heißes streifte Billys rechtes Ohr, und sein Hut flog weiß der Teufel wohin.

Sie ließen sich aus den Sätteln fallen, gingen hinter dem Wagen in Deckung. Billy befahl den Männern seiner Nachhut die Flucht über den hinteren Koppelzaun und in den Wald. Er selbst, Dave und zwei Rekruten gaben ihnen Feuerschutz. Bis auf zwei schafften es alle in den Wald.

Gewehrschützen rückten ihnen auf den Leib, mindestens sechs. Billy erkannte Kerle in braunen Armeejacken der Konföderierten und in weißen Pelzmänteln, er sah schwarze Biberpelzmützen, Hutfedern und bunte Kopftücher hinter Gewehrläufen.

Nein, das war keine reguläre Truppe der Südstaatenarmee, das war kein Hinterhalt von General Lee, dem alten Fuchs: Verdammtes Partisanenpack heizte ihnen hier ein! Und die Höllenhunde veranstalteten ein derart mörderisches Feuerwerk, dass es selbst ihm, dem abgebrühtesten Sergeant im ganzen Regiment, dass es selbst Billy Carpenter angst und bange wurde.

Es heulte, donnerte, krachte und pfiff. Überall Pulverdampfschwaden, überall Mündungsfeuer, überall Geschrei. Und jetzt fing auch noch ein Maschinengewehr zu bellen an.

Jedes Mal, wenn Billy nachlud, riskierte er einen Blick in die Nachbarschaft und auf die Mainstreet. Hier wehrten sich immer weniger Blauröcke ihrer Haut, und dort galoppierten immer mehr reiterlose Armeepferde in beide Richtungen aus der Stadt.

War kein Spaß damals, der Himmel war Billys Zeuge, und am meisten erbitterte ihn, dass die Offiziere sich aus dem Staub gemacht hatten. Rechts von ihm fing ein junger Rekrut sich eine Kugel, links atmete Dave zu viel Pulverdampf ein und hustete wie ein Greis mit Schwindsucht. Nein, ein Spaß war das wirklich nicht.

Hinter der Deckung eines Ochsenkarrens näherten sich ein paar Partisanen der Koppel; auf der Ladefläche stand ein Maschinengewehr. »Wenn das verdammte Ding anfängt, Blei zu spucken, sind wir erledigt«, keuchte Dave. Billy antwortete lieber nichts.

Zum Glück behielt einer der Corporals im Wald kühlen Kopf und prügelte eine Schützenreihe zurück an den Waldrand und zwischen die Bäume. Bald heulten auch von hinten Kugeln vorbei. »Wir kriegen Feuerschutz!«, zischte Billy. »Nichts wie weg hier!«

Sie robbten zum Außenzaun der Koppel und unter ihm hindurch. Die Kugeln ihrer Männer heulten über sie hinweg, die Kugeln des Partisanenpacks pflügten rechts und links von ihnen die Erde auf. Und dann spuckte das Maschinengewehr Hölle und Tod.

Dem zweiten Rekruten schlug ein Geschoss gleich nach dem Zaun in den Schädel ein, und Dave fing sich eine tödliche Dosis Blei, als sie schon den Waldrand erreicht hatten. Billy fluchte, packte seinen alten Freund und zerrte ihn zwischen die Büsche.

»Du machst jetzt nicht schlapp, Corporal Higgins.« Er hielt den stöhnenden Dave in den Armen, flüsterte ihm ins Ohr und spürte, wie der Rückenteil von Daves Uniformjacke sich nach und nach in einen feuchtwarmen Lappen verwandelte. »Wenn du schlappmachst, rede ich kein Wort mehr mit dir.«

»Jetzt wissen wir, warum Trump die Schwadronen in dieses gottverlassene Kaff geführt hat«, flüsterte Dave.

»Sie haben uns an die Partisanen verkauft.« Wuttränen stiegen Billy in die Augen. »Trump, Kirkpatrick und das ganz Offizierspack – hundertfünfzig Mann haben sie in die Hölle reiten lassen!«

»Wir müssen weg hier, Sergeant!« Der Corporal tauchte neben ihm auf. »Wenn die Schweinhunde mit den anderen fertig sind, werden sie nach uns suchen. Die wollen keine Zeugen.«

»Der Himmel bleibt unser Zeuge, Corporal!«, zischte Billy. Seine Tränen vermischten sich mit seinem Rotz.

»Lass mich hier liegen, Billy.« Dave flüsterte so leise, dass Billy sein Ohr bis an die Lippen des Freundes beugen musste. »Wenn du es zurück nach Philadelphia schaffst, sage Rosemary, dass ich sie liebe … und dass sie das Kind nach meinem Vater nennen soll … falls es diesen verdammten Krieg überlebt.«

»Ich versprech’s dir, Dave.« Billy musste schluchzen. »Ich versprech’s dir …«

»Und schwör mir, dass du die Schwadronen und mich …«, Dave Higgins nestelte das Marienmedaillon aus seinem Armeehemd, »… rächen wirst …« Er drückte es gegen Billys Brust. »Bei der heiligen Jungfrau … rächen, Billy … nicht an den Partisanen, sondern an Trump und …« Seine Stimme erstarb.

»Ich schwör’s dir, Dave.« Billy heulte wie ein getretener Hund. »Ich schwör’s dir, verflucht noch mal!« Das Maschinengewehrfeuer rückte näher.

»Wir müssen, Sergeant.« Der Corporal zog ihn hoch. »Wir hauen ab, oder wir sind erledigt.«

***

Das Schiffshorn heulte, die Menschen drängten sich an der Reling, das Hafengelände von St. Joseph glitt vorüber, die Ankerketten rasselten schon. Trübe und Braun wälzten die Wassermassen sich unter dem Anlegesteg hindurch.

»Morgen um die Zeit führt der Missouri so viel Wasser, dass hier kein Raddampfer mehr anlegen kann, Ma’am«, erklärte der elegante Gentleman, der schon seit Memphis keine Gelegenheit ausließ, Rachels Nähe zu suchen.

»Ach! Wirklich?« Rachel Taylor ließ es zu, dass der blonde Gentleman auch nach ihrem Koffer griff. Er hatte sich ja weder unflätig noch irgendwie plump benommen. Ein wenig unwohl war ihr dennoch.

»Wenn ich es Ihnen sage, Ma’am! Wir kommen keinen Tag zu früh.« Der Mann sah nicht nur gut aus, er trug auch einen eleganten sandfarbenen Frack. Dazu einen dieser modernen Hüte, wie man sie in Washington inzwischen auch überall sah. Eine goldene Uhrenkette hing aus seiner roten Samtweste. Ganz arm konnte er nicht sein. Rachel schätzte ihn auf höchstens vierzig Jahre.

Zwei Matrosen schoben die Landungsbrücke auf den Steg. »Einer nach dem anderen, Ladys und Gentlemen!« Der Kapitän schwankte mit ausgefahrenen Ellenbogen durch die Menge, stellte sich neben die Brücke und verabschiedete jeden seiner Passagiere mit Handschlag. »Immer schön einer nach dem anderen. Und dass mir keiner ins Wasser fällt, ja? Will mir meine neuen Stiefel nicht nass machen.« Er roch nach Whisky.

Hinter dem blonden Gentleman her tänzelte Rachel über die Landungsbrücke. Er hieß Randolph Grant und hatte sie aufgefordert, ihn Randy zu nennen. Rachel bewegte stumm die Lippen.

»Wir wäre es, wenn wir uns eine Kutsche teilen?«, sagte Mr. Grant, der »Randy« genannt werden wollte. »Die Hotels hier in St. Joseph liegen sowieso alle an der Mainstreet.«

Rachel schluckte kurz und gab sich einen Ruck. »Das ist wirklich nett von Ihnen, Sir. Aber dann teilen wir den Fahrpreis.«

»Wie Sie wollen, Miss Taylor.« Randy Grant winkte dem Kutscher einer offenen Kutsche, verstaute die Koffer hinter dem Gepäckleder und nannte dem Mann sein Hotel. Dann lüftete er die Melone. »Darf ich Ihnen in die Kutsche helfen, Ma’am?«

Rachel nickte und bedachte zu spät, dass ein solch hilfreicher Akt nicht ohne körperliche Berührung möglich war. Mister Grants Griff um ihren Arm war kräftig, doch nicht zu fest. Und dass ein Mann derart schöne, saubere und gepflegte Hände haben konnte? Ihr stockte der Atem.

Die Kutsche fuhr an. Randy Grant steckte sich eine Zigarette in seine silberne Zigarettenspitze und Rachel bewegte schon wieder stumm die Lippen.

»Sie beten?« Erstaunt zog er die blonden Brauen hoch.

»Natürlich.« Rachel räusperte sich. »Ich danke dem Herrn für die glückliche Reise.«

Das war nur die halbe Wahrheit: Sicher hatte sie auf dem Weg zur Kutsche dem Herrn für die glückliche Reise gedankt; gerade eben jedoch hatte sie sich genügend Kraft erbeten, um der Versuchung widerstehen zu können, die der Blonde für sie zu werden...