Ahasvers Erlösung - Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts

Ahasvers Erlösung - Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts

von: Frank Halbach

Herbert Utz Verlag , 2009

ISBN: 9783831608348 , 345 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 37,99 EUR

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Ahasvers Erlösung - Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts


 

IV.WAGNERS EWIGE JUDEN (S. 118-119)

Für die „Arbeit am Mythos" vom Ewigen Juden ist neben allen anderen Umwälzungen, die durch ihn das Musiktheater neuformierten, Richard Wagner der entscheidende Wendepunkt. Dies hat auch mit Wagners spezieller Bedeutung für eine neue Form der Operndichtung zu tun.

Will man [...] seine Stellung in der Geschichte der Librettistik, sein Verhältnis zur literarischen und die Bedeutung seiner Konzeption für die spätere Zeit bestimmen [...], dann ist die isolierte Betrachtung des Beitrags, den Wagners Theorie und Praxis der Operndichtung geleistet hat, nicht nur statthaft, sondern aus Gründen der Vergleichbarkeit sogar geboten.

Was hier für die allgemeine Bedeutung Wagners für das Libretto beschrieben wird, gilt für die Geschichte der Libretti vom Ewigen Juden im speziellen. Die Erlösungsdramen Wagners kreisen schließlich offensichtlich um das Mythologem des Ahasverstoffes, das im 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt der Rezeption geraten war. Dass Wagner die Texte seiner Opern selbst verfasste ist ein weiterer Punkt: Sowohl die Wagnerianer nach ihm, die sich des Ahasvermythos annehmen, wie Weingartner und Sachs, als auch diejenigen, die sich aus dem Schatten Wagners lösen, zum Beispiel Busoni, schreiben, geprägt von Wagner, ihre Ahasverlibretti selbst. Zugleich verkörpern Wagners Adaptionen des Mythos einen problematischen Sonderfall, der die allgemeine Schwierigkeit einer Beschäftigung mit dem „Bayreuther Meister" im speziellen spiegelt: Ahasver irrlichtert nicht nur durch die Musikdramen, sondern auch durch die theoretischen Schriften des antisemitischen Künstlers. Insofern muss auch die Frage gestellt werden, inwieweit Wagners Judenfeindschaft auch seine Libretti imprägniert hat. Dass einige, mehrere oder gar fast alle Opernfiguren mit camoufliert jüdischen Zügen versehen seien oder gar einen antisemitischen Subtext transportierten, wird bekanntermaßen von der Wagnerforschung nach wie vor kontrovers diskutiert.3

Es ist ganz unwahrscheinlich, daß eine so zentrale lebensbegleitende Obsession im Werk des Künstlers Richard Wagner ohne Wirkung geblieben sein soll. Diese Wirkung ist aber nicht so eindeutig und an der Oberfläche liegend, wie einige Wagner-Kritiker meinen, sondern sie taucht nur gelegentlich auf, ist außerdem camoufliert, in einen Subtext eingewoben, dem zeit genössischen Publikum gewissermaßen mit Augenzwinkern dargeboten.[...] Die ungläubige und oft aggressive Abwehr des heutigen Wagner-Publikums gegenüber Hinweisen, daß etwa in Figuren wie Mime und Beckmesser die antijüdischen Ressentiments ihres Schöpfers erkennbar sind, beruht vor allem darauf, daß die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstverständliche Imprägnierung mit dem kulturellen Code des Antisemitismus (in ganz verschiedenen Intensitätsgraden) angesichts dessen, was im 20. Jahrhundert geschah, nicht mehr selbstverständlich sind.

Die Verbrämung durch das Mittel der Camouflage betrifft auch die Ahasvergestalten Wagners, die nicht wie noch Halévys Le Juif errant offen die Gestalt des Ewigen Juden zeigen, dem seine Identität schon durch seine Benennung als Jude eingeschrieben ist. Allerdings hat Wagner dafür – und das macht den Fall im Vergleich zu den von Jens Malte Fischer oben angesprochenen Figuren wie Mime und Beckmesser einfacher – seinen Holländer und seine Kundry in Kommentaren zu Der fliegende Holländer und Parsifal mit dem Ahasver- Mythos in Verbindung gebracht.

Was jedoch die Auslegung des Mythos vom Ewigen Juden anlangt, verkompliziert sich die Sachlage sofort wieder, da die Ahasverfigur – wie dargestellt – von Anfang an durch ihre Ambivalenz geprägt war, changierend zwischen dem Inbegriff aller Negativstereotypen die bezüglich der Juden aufzutreiben waren und zwischen dem reumütig büßenden „Vorzeigejuden". Und auch die Spur, in den mehr oder weniger verdeckten Ahasvergestalten nach antijüdischen Komponenten zu forschen, hat Wagner selbst gelegt.