Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike

von: Ernst Baltrusch

De Gruyter Oldenbourg, 2008

ISBN: 9783486584011 , 232 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 17,80 EUR

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Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike


 

3. Außenpolitik, interpolitische Beziehungen und Völkerrecht (S. 14)

3.1 Begrifflichkeit
Der Begriff „Außenpolitik" verträgt trotz seines Ursprungs in der Frühen Neuzeit durchaus eine sehr weite inhaltliche Auslegung und ist daher am wenigsten problematisch in seiner Anwendung auf vormoderne Verhältnisse, da er weder eine moderne Vorstellung von Staat voraussetzt noch an irgendein anderes System a priori gebunden ist (s. Kap. 1).

Weit gefasst ist also unter Außenpolitik jede zielgerichtete friedliche oder kriegerische Aktivität einer Polis oder eines andersgearteten, zu solcher Aktivität befähigten (also in der Regel autonomen) Gemeinwesens bzw. ihrer Amtsleute und Vertreter im Verhältnis zu anderen Poleis oder Gemeinwesen zu verstehen. Darin sind eingeschlossen: Kriege und ihre Androhung, Verträge und vergleichbare Beziehungen (Kapitulation, Schutzsuche, alle Formen der Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit), Diplomatie undVerhandlun- gen, schiedsgerichtliche und vermittelnde Verfahren, religiöse Verbindungen (z. B. gemeinsame Festveranstaltungen und Kulte).

Schwerer zu rechtfertigen ist die Verwendung des Begriffes „Völkerrecht" für antike Verhältnisse, erstens in seinem heutigen Verständnis als ein von neuzeitlichen Fachgelehrten entwickeltes juristisches System, zweitens in seiner Nähe zum römischen ius gentium, aus dem es hervorgegangen ist, von dem es sich aber inhaltlich stark unterscheidet, und drittens in seiner Anwendung auf ein Staatensystem.

Wenn die klassischen römischen Juristen von „Völkerrecht" (ius gentium) sprachen und dieses deutlich vom „bürgerlichen Recht" (ius civile) und vom„Amtsrecht" (ius honorarium) schieden, so verstanden sie es doch immer nur als ein römisches, nicht übergeordnetes Recht.

Dieses ius gentium war zudem nicht ausschließlich auf die rechtlichen Beziehungen zwischen Staaten beschränkt, sondern umfasste z. B. auch die Freilassung von Sklaven, weil die Sklaverei eine allen Völkern gemeinsame Einrichtung und deshalb auch die Freilassung ein überall anzutreffendes Rechtsinstitut sei (Ulp. Dig. 1,1,4), auch die Griechen, die keinen dem römischen ius vergleichbaren Rechtsbegriff entwickelt hatten, stellten sich allen Menschen gemeinsame Rechtsregeln vor.
Trotz dieses Befundes halte ich an demBegriff „Völkerrecht" auch für die antikenVerhältnisse von folgenden Überlegungen ausgehend fest:

1. Das Vorhandensein eines Völkerrechtes hängt nicht ursächlich an einem modernen Staatsbegriff, sondern an der Existenz autonomer politischer Einheiten – modern: Völkerrechtssubjekte –, die zum einen miteinander in regelmäßigen Kontakt treten, zum anderen sich an abgeschlossene Vereinbarungen gebunden fühlen.

2. Die Rechtsquellen des modernen Völkerrechts (allgemeine Rechtsregeln, Vertragsrecht, Gewohnheitsrecht) und das Anwendungsfeld des Völkerrechts (Kriegsrecht, Vertragsrecht, Gesandtenrecht) stellen Berührungspunkte zwischen antikem und modernem Völkerrecht her.

3. Für die griechische Klassik als die wohl „modernste" (im Sinne der Dichte zwischenstaatlicher Zusammenarbeit) Zeit des antiken Völkerrechts lässt sich sogar eine Art von Rechtssystem feststellen, das aus einer Vielzahl von formalisierten Beziehungen erwachsen ist und im Peloponnesischen Krieg einer harten, aber bestandenen Bewährungsprobe unterzogen wurde.

4. Hermeneutisch ist der Begriff „Völkerrecht" für die Erkennung zwischenstaatlicher Strukturen unverzichtbar. Die griechische Philosophie und das römische Recht haben keinen vergleichbaren Begriff entwickelt, weil die Philosophen sich ausschließlich auf die einzelne Polis und ihre innere Struktur, unter die auch die außenpolitischen Beziehungen gefasst wurden, konzentriert haben, und die römischen Juristen angesichts des real existierenden Weltreiches und einer daran anknüpfenden Weltherrschaftsideologie keine Notwendigkeit verspürten, ein anderes als ein römisches Recht zu konzipieren.