Das 18. Jahrhundert - Zeitalter der Aufklärung

von: Iwan-M. D´Aprile, Winfried Siebers

De Gruyter Akademie Forschung, 2008

ISBN: 9783050049656 , 257 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 299,00 EUR

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Das 18. Jahrhundert - Zeitalter der Aufklärung


 

4.1 Religion und literarisches Leben (S. 55-56)

Innerhalb der gesamteuropäischen Aufklärungsbewegung stellte sich das Verhältnis zwischen Religion und Aufklärung in Deutschland komplexer dar als andernorts. Die Trennungslinien zwischen dem Klerus und der Aufklärungsbewegung waren vor allem im protestantischen Teil Deutschlands mit seinen unterschiedlichen Spielarten des Lutheranismus, des Pietismus und des Calvinismus weniger scharf gezogen als in katholischen Ländern. Gerade in der Frühaufklärung gab es zahlreiche Schnittmengen zwischen dem protestantischen Gebot der Erkenntnis Gottes durch selbstständige Bibellektüre und der aufklärerischen Forderung des Selbstdenkens. Toleranzpolitik als Duldung bestimmter religiöser Minderheiten gehörte zum Kalkül der Machtpolitik im gesamten protestantischen Teil Europas: in England, Holland, Schweden oder Brandenburg-Preußen (Toleranz-Edikt von Potsdam 1685). Mit den Josephinischen Reformen hielt sie ab 1780 auch Einzug im katholischen ¤sterreich. Zudem entstammten die weitaus meisten Aufklärer in Deutschland einem protestantischen theologischen Hintergrund, der sowohl durch das Elternhaus als auch das eigene Studium geprägt war (vgl. Schöne 1958) – wenngleich das Theologiestudium als ,Arme-Leute-Studium‘ häufig nur aus Geldnot betrieben wurde. Schließlich hat die religiöse Reformbewegung des Pietismus durch ihren individualisierten und emotionalisierten Glaubensbegriff auf die Sprache der Empfindsamkeit gewirkt (vgl. Langen 1968) und literarische Werke unmittelbar beeinflusst, etwa Friedrich Klopstocks Messias (1748ff.) oder Johann Heinrich Jung-Stillings Lebensgeschichte (1777ff.). In der neueren Aufklä- rungsforschung werden die vielfältigen Querverbindungen und Ausdifferenzierungen konfessionell unterschiedlich geprägter Aufklärungsformen – pietistische, hugenottisch-calvinistische, katholische, jüdische – verstärkt zum Gegenstand gemacht (vgl. Klueting 1993, Beutel 2006).

Gleichwohl war das literarische Leben in Deutschland wie in anderen Ländern auch von ständigen Auseinandersetzungen um den Anspruch von Schriftstellern und Philosophen auf eine säkulare und unabhängige öffentliche Aufklärungskultur einerseits und um den kulturellen Hegemonieanspruch der Theologen andererseits geprägt. Dies schlägt sich in zahlreichen Debatten des 18. Jahrhunderts nieder: So wurden die Spannungen zwischen Aufklärung und pietistischer Innerlichkeit spätestens mit dem Skandal um die Hallenser Dekanatsrede Christian Wolffs im Jahr 1721 offenbar. Wolff hatte in seiner Rede mit dem Titel Sittenlehre der Sineser die nicht-christliche Kultur Chinas zu einem Musterfall eines vernünftig organisierten und sittlich integren Staates erklärt und daraus die Thesen abgeleitet, dass Moralität und christliche Religion unabhängig voneinander bestehen könnten und dass ethisch richtiges Verhalten allein in der Vernunftfa ¨higkeit der Menschen begründet sei. Die pietistischen Theologen der Halleschen Universität, Joachim Lange und Hermann August Francke, betrieben daraufhin erfolgreich die Entlassung und Verbannung Wolffs von preußischem Territorium. ¥hnlich exemplarisch waren der Streit um Immanuel Kants Widerlegung der Möglichkeit von Gottesbeweisen in der Kritik der reinen Vernunft (1781) oder die Auseinandersetzungen um das Religionsedikt des preußischen Ministers Johann Christoph von Wöllner (1788), in dem ausdru ¨ cklich die Aufklärung für den vermeintlichen allgemeinen Sittenverfall verantwortlich gemacht wurde. All diese Debatten fanden ihren Widerhall in der Literatur ihrer Zeit, die sie gleichermaßen beeinflussten wie sie selbst von ihr beeinflusst wurden.

Als direkte argumentative Stellungnahmen in der Auseinandersetzung zwischen Rationalisten und Pietisten sind z. B. die Komödie Die Pietisterey im Fischbein-Rocke (1736) von Luise Adelgunde Victorie Gottsched und Friedrich Nicolais Berlin-Roman Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker (1773–76) zu verstehen. Beide Werke zeichnen sich als ideengeschichtliche Quellen mit zahlreichen Querverweisen auf zeitgenössische Debatten der Aufklärungszeit aus. Gegen die fanatische Religio ¨ sität der zumeist pietistischen Theologen, die als Doppelmoral enttarnt wird, verteidigen diese Werke die Lebensweise des Stadtbürgertums, die als liberal, tolerant, vernünftig und natürlich dargestellt wird.