Narzissmus und Objektbeziehungen, 4. Auflage

von: Raymond Battegay

Hogrefe AG, 2008

ISBN: 9783456945095 , 257 Seiten

4. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 30,99 EUR

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Narzissmus und Objektbeziehungen, 4. Auflage


 

Die (physiologische) Grandiositätsvorstellung in der Verliebtheit (narzisstische Inflation) (S. 95-96)

Physiologischerweise kommt es zu einer narzisstischen Grandiositätsvorstellung, oder, wie wir in diesem Zusammenhang sagen möchten, einer narzisstischen Inflation mit einer entsprechenden narzisstischen Überbesetzung des Ich bei Verliebtheit und besonders bei der sexuellen Erregung, speziell im Orgasmus. Im Unterschied zu den geschilderten Hyperthymen und Manischen bleibt bei den Verliebten aber ein Teil der narzisstischen Libido frei für den Partner, so dass er – fusionär – mit in den Narzissmus einbezogen werden kann. Es kommt gewöhnlich zu einer narzisstischen Inflation bei beiden, aber immer so, dass auch der Partner, die Partnerin mit narzisstischer Libido besetzt wird, also zu einem narzisstischen Gruppenselbst in der Phantasie beider Partner. Bis zu einem gewissen Grade deckt sich in der Phantasie der beiden Beteiligten das narzisstische Gruppenselbst. Die Verzückung in der Liebe und im Orgasmus ist also nicht identisch mit der manischen Grandiositätsvorstellung, da in einer Manie die vom Selbst ausgehende Libido vollkommen auf das eigene Ich verlegt wird, während in der Liebe naturgemäß der Partner Anteil hat am inflatorischen Selbstgefühl und somit narzisstische Libido nicht nur dem eigenen Ich, sondern auch dem menschlichen Gegenüber zufallt.

Wenn im Volksmund gesagt wird, dass «Liebe blind macht», so dürfte dieser Umstand darauf zurückzuführen sein, dass das dominierende Grandiositätsgefühl und die starke narzisstische Besetzung des Partners mit Fusionsvorstellung und Tendenz zur Spiegelbeziehung eine Kritik durch das Ich nicht mehr zulässt. Es dürfte also die Objektivität bei der Liebe dadurch verloren gehen, dass bei der liebenden Hingabe an die Partnerin, den Partner, die bis zur Selbstaufgabe oder -aufopferung gehen kann, eine physiologische Selbst- Schwäche – mit den entsprechenden Kompensationsmechanismen – entsteht.

Der Einbezug des Liebesobjektes in das eigene Selbst geht oft so weit, dass in der Phantasie der Beteiligten eine sehr ausgesprochene Fusion mit dem idealisierten Objekt entsteht. Dieser Zustand ist in der Verliebtheit nichts Außergewöhnliches. Bleibt allerdings eine Verbindung auf diesem Beziehungsmodus stehen, so tritt das ein, was Willi (1975) als eine «narzisstische Kollusion» bezeichnet. Dieses unbewusste Zusammenspiel der beiden Partner beruht darauf, dass die beiden Beteiligten je den Phantasien des anderen entsprechen. Dabei besteht die Gefahr, dass es zu einer schweren Desillusionierung und Enttäuschung kommt, wenn der Partner/die Partnerin sich später als anders erweist, als sich der/die andere vorgestellt hat. Diese Fusionstendenz Verliebter, mit der dadurch gegebenen Verkennung der wirklichen Charaktere, und die darauf folgende «Ernüchterung» dürften für das schließliche Scheitern von Partnerschaften und die hohe Zahl von Ehetrennungen und -scheidungen mitverantwortlich sein. Die «Liebe auf den ersten Blick» ist zwar im Moment für die Beteiligten etwas Erhebendes, doch bringt sie die Gefahr mit sich, dass dann die Realität umso härter erlebt wird.

Es heißt ja so schön im Sprichwort «Drum prüfe, wer sich ewig bindet». Dieses geflügelte Wort birgt wohl die Kenntnis, dass eine Beziehung nur dann von Dauer sein kann, wenn, nach einer Phase der Verliebtheit, eine gewisse Zeit des gegenseitigen Sich-kennen-lernens folgt. Der Blick ist dann weniger getrübt, die narzisstische Inflation des Ich der Betreffenden zurückgegangen und die fusionäre Beziehung durch eine Gegenseitigkeitsrelation auch auf den Ebenen der aktiven Ich-Leistungen und des freien Entscheides ergänzt. Nur wenn eine Zweierbeziehung – oder auch die Verbindung von Gruppenmitgliedern untereinander – diese drei Niveaus umfasst, kann sie als gefestigt gelten.