Psychotherapeutische Gespräche führen

von: Peter Müller, Herta Wetzig-Würth

Hogrefe AG, 2008

ISBN: 9783456944975 , 149 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 17,99 EUR

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Psychotherapeutische Gespräche führen


 

5 Gesprächsführung bei sexuellen Störungen (S. 92-93)

Herta Wetzig-Würth

5.1 Einführung

Grundsätzlich gelten für den Bereich sexueller Störungen die Regeln der Gesprächsführung aus dem Bereich von Tiefenpsychologie und Psychosomatik. Auch im Bereich sexueller Störungen liegt der Schwerpunkt auf dem Beziehungsaspekt. Auch hier ist es nützlich, die Störung als Beziehungsstörung (Schnittpunkt-Metapher von horizontaler und vertikaler Achse) und als Beziehungsangebot in der therapeutischen Beziehung zu sehen. Ermöglicht werden soll in der empathischen, akzeptierenden «Atmosphäre» des Gesprächs ein emanzipatorischer Prozess.

In der therapeutischen Beziehung geht es vor tiefenpsychologischem Hintergrund – in der Regel für den Patienten neu – zunächst darum, dass Wertungen, wie der Patient sie in seinen Beziehungen kennt oder phantasiert, ausbleiben. Die Störung ist dann nicht die Krankheit, die schnell beseitigt werden muss, der Patient ist also keineswegs «nicht richtig». Vielmehr sieht sich der Therapeut vor einer doppelten Aufgabenstellung: Zum einen muss er darauf verzichten, dem Patienten seine Überzeugungen an die Hand zu geben, um so das Symptom, die Störung zu beseitigen – und zum andern muss er zusammen mit dem Patienten geduldig die verborgenen Motive und Zusammenhänge aufstöbern und zu verstehen suchen.

Im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung können sich bislang abgewehrte, d. h. dem Patienten bewusst nicht zugängliche Konflikte meist verpönten schambesetzten Inhalts, entfalten. Und das Freiwerden z. B. eines Scham- Affekts im therapeutischen Gespräch geht (über das gemeinsame Verstehen) in der Regel mit einer Akzeptanz des eigenen Selbst, des Ich, der in einer Krän- kung steckengeblienen, eingeklemmten und gehemmten oder krank gewordenen Person einher. Die Beziehung zu sich selbst bekommt eine neue Qualität. Was bisher angstvoll oder schamvoll unterdrückt und nicht in Beziehungen lebbar eingebracht werden konnte, erfährt in der vertrauensvollen therapeutischen Situation Akzeptanz und kann aufgegeben oder bewusst, d. h. auch verantwortlich gelebt werden. Oft handelt es sich ja um quälerisch erlebte Befürchtungen, abartig, irgendwie pervers zu sein.

Nicht objektive Fakten sind «die Störung», es geht vielmehr um die Bedeutung dieser Fakten für den Einzelnen und auch das Paar, um das subjektive Erleben beider. Und um die Herausarbeitung dieser Bedeutung muss es gehen, d. h. aber auch, dass nicht der Therapeut im vorhinein wissen kann, was der Patient braucht.

Der Patient soll also nicht pädagogisch einer moralischen Normalität – vertreten in der Person des Therapeuten – angepasst werden. Zielvorstellung für den Bearbeitungsprozess könnte ein flexiblerer Umgang mit dem «Problem» sein, d. h. für den Patienten, die Möglichkeit zu wählen und damit ein größeres Maß an Freiheit zu gewinnen.

Einengende Normenbildungen, medienbeeinflusste Idealvorstellungen, Bilder, an denen die eigene Realität sich misst und im Vergleich dann oft nicht mehr genügt, können z. B. lustvolle Orgasmusfähigkeit zu quälerischer Orgasmuspflicht reduzieren.

5.2 Fallbeispiele

Der Schmerz hinter dem Schmerz
Eine junge Frau kommt und klagt über unbestimmte Bauchschmerzen, sie sei mehrfach körperlich untersucht worden, es sei «nichts gefunden» worden.