Russland gibt Gas - Die Rückkehr einer Weltmacht

von: Alexander Rahr

Carl Hanser Fachbuchverlag, 2008

ISBN: 9783446416239 , 289 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Russland gibt Gas - Die Rückkehr einer Weltmacht


 

8 Der Putin-Code (S. 145-146)

Die künftige Olympiastadt Sotschi an einem regnerischen Tag Anfang September 2007. Eine Gruppe westlicher Experten des internationalen Waldai-Klubs ist auf Putins Datscha am Schwarzen Meer eingetroffen, um mit dem Präsidenten über die Lage in Russland zu diskutieren. Soeben hat Putin die Regierung entlassen und das Finale des Wettlaufs um seine Nachfolge eingeläutet. Die Professoren und Redakteure werden aufgefordert, ein Spalier zu bilden. Putin wird gleich herauskommen und jedem von ihnen persönlich die Hand schütteln. Die Fernsehkameras halten die Szene fest. Plötzlich öffnet sich die Tür und heraus kommt – nicht Putin, sondern sein Labrador Conni. Am nächsten Tag erscheint das brüskierende Foto von strammstehenden westlichen Experten und Putins Hund auf den ersten Seiten der russischen Printmedien. Mit undurchsichtigem Lächeln tritt einige Sekunden später auch der Hausherr aus seinen Gemächern und bittet alle zu Tisch.

Die Gäste verspüren zunächst einen Hunger nach Informationen. „Who is Mister Subkow, der neu ernannte Premier?" Einer, der alle Finanzströme im Land kontrolliert und über Dossiers von allen Bankkonten verfügt, erklärt Putin. Ist Subkow sein Nachfolger? Vielleicht ja, aber es gibt noch fünf andere Kandidaten, deutet Putin mysteriös an. „Die einen sagen, Sie werden Premier, die anderen meinen, Sie würden Parteichef von Einheitliches Russland werden", fragt ein Amerikaner.

„Beide haben recht", erwidert Putin. Der Kremlchef gefällt sich in seiner neuen Rolle. Er spielt das Spiel seines Lebens. Die ganze Welt, inklusive seiner nächsten Umgebung, versucht sich im Ratespiel. Derweilen bleibt Putin der alleinige Regisseur im Epizentrum der Macht. Der Mann weiß, was er will. Nach einer dreistündigen Diskussion beim Abendessen lädt er die westlichen Gäste zum Spaziergang entlang der Meeresküste ein. Eine gute Möglichkeit, den Kremlchef in ein persönliches Gespräch zu verwickeln.

Die Experten umringen Putin, dessen Stimme ist leise. „Der nächste Präsident wird sich mit mir arrangieren müssen", verkündet er. Putin sieht sich als eine Institution im Land. Auch nach dem Verlassen der Präsidentschaft bleiben sein politischer Einfluss und die Aura bestehen. Das Meer ist stürmisch geworden. Die starke Brandung übertönt das Gespräch. Putin hat eine Strategie für Russland und für seine persönliche Machtabsicherung nach 2008.

Alle Macht den Geheimdiensten

Seit seinem Machtanstieg hatte sich Putin auf die Geheimdienste gestützt. Monat für Monat zauberte er einen Tschekisten nach dem anderen aus dem Zylinder. Nach einer Recherche der russischen Soziologin Olga Kryschtanowskaja wurden unter Putin in der Staatsbürokratie 25 Prozent der Posten mit direkten Vertretern der Geheimdienste und zahlreiche Ämter mit verdeckten Mitarbeitern besetzt. Dass der Westen sich über die Rehabilitierung des Geheimdienstes mokierte, störte den Kreml nicht. Der FSB-General Viktor Tscherkessow veröffentlichte in der Komsomolskaja Prawda im Dezember 2004 einen Artikel mit folgendem Inhalt: Mit dem FSB sei ein ehrenhafter Ritterorden an die Macht gekommen, um in einer schwierigen Zeit der russischen Geschichte die heroische Aufgabe der Wiederaufrichtung Russlands zu erfüllen.

Seit den ersten Tagen des 21. Jahrhunderts liegt die Macht in Russland in den Händen einer Gruppe von Männern, die alle aus Sankt Petersburg kommen, einen ähnlichen Karrierehintergrund besitzen, sich seit 30 Jahren kennen und eine ähnliche politische Gesinnung vertreten. Sie stammen entweder aus dem Geheimdienst oder hatten eine Nähe zum ehemaligen KGB. Nach dem Zerfall der Sowjetunion begannen sie ihren Aufstieg in der Stadtverwaltung von Sankt Petersburg – unter Oberbürgermeister Anatoli Sobtschak, dem zweitbedeutendsten Reformpolitiker Russlands nach Jelzin.