Lehrbuch Allgemeine Psychologie, 3., vollst. überarb. u. erw. Auflage

von: Hans Spada

Hogrefe AG, 2006

ISBN: 9783456940847 , 646 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 52,99 EUR

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Lehrbuch Allgemeine Psychologie, 3., vollst. überarb. u. erw. Auflage


 

5.1 Der Gegenstandsbereich: Sprache (S. 278-279)

Sprache ist unser wichtigstes Medium der Kommunikation mit anderen und der Reflexion über uns selbst. Zwar ist Denken nicht notwendig auf Sprache angewiesen (sonst wären die beachtlichen Denkleistungen vieler Tiere nicht erklärbar), aber für die Entwicklung des Individuums gilt:Wir werden bereits in eine Sprach- und Kulturgemeinschaft hineingeboren, und nicht nur der Spracherwerb, sondern unsere gesamte kognitive Entwicklung vollzieht sich darin. Insofern sind Denken und Sprache beim erwachsenen Menschen aufs Engste verknüpft.

Menschen sind «geborene Plappermäuler» (Pinker, 1994).Wir alle sprechen wenigstens unsere Muttersprache so selbstverständlich, dass wir gar nicht anders als in dieser Sprache selbst über unsere sprachlichen Fertigkeiten reflektieren können. Deshalb müssen wir, wenn wir uns als Psychologen der Sprache zuwenden, erst das Staunen über diese höchst komplexe kognitive Leistung wiedergewinnen.

Vielleicht hilft ein Blick auf die seit fünfzig Jahren andauernden Versuche, technischen Systemen (Computern) zu vergleichbarer Sprachfertigkeit zu verhelfen: Trotz umfangreicher Forschungsanstrengungen ist es bis heute nicht gelungen, ein sprachverstehendes System zu schaffen, das diesen Namen wirklich verdient, auch wenn in eng umgrenzten Teilbereichen bemerkenswerte Fortschritte erzielt wurden. Ein Beispiel ist das Großprojekt Verbmobil, das Spracherkennung, syntaktisch- semantische Analyse und Übersetzung verbindet anhand des Szenarios, dass ein deutscher und ein japanischer Geschäftspartner versuchen, auf Englisch einen Termin zu vereinbaren, wobei sie von dem Verbmobil-System unterstützt werden (Wahlster, 2000).

Andererseits sollte man sich keine Illusionen über die Perfektion unserer eigenen sprachlichen Kommunikation machen: Unser Reden ist voller Fehler. Nicht selten fangen wir Sätze an, die nie vollendet werden, brechen andere in der Mitte ab und setzen sie so fort, als ob wir eben etwas anderes gesagt hätten. Auch das Verstehen klappt nicht immer, wie jeder von uns aus eigener Erfahrung weiß. Da bittet jemand beim Frühstück um das Salz und bekommt die Zuckerdose gereicht, oder die Angeredeten verstehen gerade das Gegenteil des Gemeinten. Selbst Studierende verstehen als Versuchspersonen in sprachpsychologischen Experimenten Sätze wie Den Fuchs erblickte die fette Henne (Hemforth, 1993) in etwa 15 % aller Fälle falsch, nämlich so, als ob Sie Der Fuchs erblickte … gelesen hätten.

5.1.1 Sprachfähigkeit als Artspezifikum des Menschen

Jedes Kind, das nicht geistig schwer behindert ist, wird binnen weniger Jahre diejenige Sprache als Muttersprache erwerben, in der seine Bezugspersonen mit ihm sprechen. Angesichts der mitunter sehr großen Komplexität sprachlicher Äußerungen ist das eine sehr beachtliche Lernleistung, die sich überdies ohne jede explizite Anleitung («Beschulung») vollzieht. Wir alle bringen offenbar von Geburt an die Voraussetzungen für diese spezifische Lernleistung mit, die sich im Übrigen nicht einfach durch allgemeine Lernprinzipien erklären lässt (Pinker, 1984). Insbesondere scheidet Imitation als generelles Lernprinzip aus, da Kinder regelmäßig mit etwa drei Jahren eine Phase der Übergeneralisierung durchlaufen, in der sie nie gehörte Verbformen wie gingte, gangte, is gegeht usw. bilden (Mills, 1985).

Aber können nicht auch Tiere sprechen? Sicherlich kommunizieren viele Arten durch Laute und Gesten, allerdings auf deutlich weniger komplex strukturierte Weise. Tierische Kommu- nikation hat eher Signalcharakter (Hauser & Marler, 1999), ist voller Wiederholungen (Wilson, 1972) und ist weniger flexibel handhabbar als menschliche Sprache. Primaten, vor allem Bonobo-Schimpansen, sind nach jahrelangem Training in der Lage, einige hundert Symbole konsistent zu gebrauchen. Auch zeigen sie Verstehensleistungen, die denen eines zweieinhalbjährigen Kindes entsprechen.