Am Leben - Notarzt im Rettungshubschrauber

von: Tino Lorenz

Heller Verlag, 2012

ISBN: 9783929403510 , 276 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 10,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Am Leben - Notarzt im Rettungshubschrauber


 

11. Höhenangst (S. 136-137)

Werden wir zu Arbeitsunfällen gerufen, weckt dies in uns, neben den Unfällen mit Kindern, instinktiv ein ungutes Gefühl. Zu oft hatten wir es dabei mit Schwerstverletzten, Toten oder zahlreichen Verunglückten zu tun, waren komplizierteste Situationen zu meistern gewesen.

Wieder mal ereilt uns die Alarmierung am Frühstückstisch. Wenigstens noch einen Schluck Kaffee, der die obligatorische Morgenmüdigkeit hoffentlich vertreibt, Schuhe zu, Jacke an und los.

Der Unglücksort befindet sich zwischen Dresden und Pirna. Nach 15 Minuten ist er erreicht.

In einer Eigenheimsiedlung ist ein Kleinkran, auf nachgebendem Untergrund nicht sachgemäß aufgestellt, umgekippt und hat einen Bauarbeiter unter sich begraben.

Der junge Mann ist ohne Bewusstsein. Seine Kollegen schildern, dass er anfangs noch geschrien habe, nach wenigen Minuten aber nicht mehr ansprechbar gewesen sei. Etwa zeitgleich mit uns war die Pirnaer Feuerwehr eingetroffen, gemeinsam überlegen wir, welche Möglichkeiten sich ergeben könnten, um an den Mann heranzukommen, ihn »erstzuversorgen«.

Momentan stapeln sich aber noch diverse Kranteile einem Mikadospiel gleich über dem Körper des Patienten. Mit dem eilig vom Nachbargrundstück herübergebrachten Bagger werden Hauptteile des Kranes angehoben und gut einen halben Meter über dem Boden schwebend gehalten. Äußerst mulmige Gefühle machen sich in mir breit, als ich unter der schwebenden Last zum Verletzten krieche. Zum Glück, ich erreiche ihn relativ mühelos auf dem glatten Untergrund. Der kräftige Puls ist an der Halsschlagader tastbar und der Patient atmet vernehmlich.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals außerhalb einer Sauna so geschwitzt zu haben, weniger infolge der körperlichen Anstrengung als vielmehr ob der Geräusche, erzeugt von den Metallteilen in der Höhe, und dem Wissen, welche Last sich da über mir befand.

Ein schwerer Stahlträger, offensichtlich das Teil, welches zum Unfallzeitpunkt am Lasthaken des Kranes hing, liegt quer über dem Becken des Mannes, hat ihm die rechte Hüfte zertrümmert und lässt zunächst eine umgehende Bergung nicht zu. Ich krieche mühsam einen bis zwei Meter weiter. Es gelingt, eine Infusion anzulegen. Der gemessene Blutdruck zeigt sich regelrecht. Erst einmal tief durchatmen. Frank würde mir sicherlich gern in meiner misslichen Lage unterstützend beistehen, aber für zwei Personen reicht der Platz hier unten einfach nicht aus. Das Augenmerk richtet sich nunmehr auf das rechte Bein, es ist warm und rosig, erscheint gut durchblutet. Offenbar ist die Hauptschlagader des Beines durch die Last des Trägers nicht tangiert, hat das Blut irgendeinen Weg gefunden, das Bein ausreichend zu durchströmen. Endlich, mit vereinten Kräften ist es gelungen, die Kranteile, welche vom Bagger angehoben wurden, seitlich abzulegen. Der Stahlträger kann nun entfernt werden. Noch immer ist der Mann nicht ansprechbar, die vitalen Funktionen zeigen sich jedoch erfreulicherweise stabil. Es hat angefangen zu regnen. Dicke, immer zahlreicher werdende Tropfen entwickeln sich zum Wolkenbruch, klatschen auf den ausgetrockneten Boden und lassen ihn unter rascher Pfützenbildung zusehends erweichen. Schon nach wenigen Minuten knien wir im zentimetertiefen Schlamm, sind durchnässt bis auf die Haut.